Jeder stirbt für sich allein
Nun wurde sein Blick heller, er nahm die Hände aus dem Sekretär, richtete sich auf und sagte fast lächelnd: «Aber so leicht sollen die uns nicht kriegen! Wenn die schlau sind, wir können auch schlau sein. Schlau und vorsichtig. Vorsichtig, Anna, immer auf der Hut - je länger wir kämpfen, um so länger werden wir wirken. Es nützt nichts, zu früh zu sterben.
Wir wollen leben, es noch erleben, daß sie fallen. Wir wollen dann sagen können, wir sind auch dabeigewesen, Anna!»
Er hatte diese Worte leicht, fast scherzend gesprochen.
Nun, während er wieder kramte, lehnte sich Anna erleichtert in das Sofa zurück. Eine Last war ihr abgenommen, jetzt war sie auch davon überzeugt, daß Otto etwas Großes vorhatte.
Er trug sein Fläschchen Tinte, seine in einem Umschlag befindlichen Postkarten, die weißen, riesigen Handschuhe an den Tisch. Er zog den Pfropfen aus der Flasche, glühte mit einem Streichholz die Feder aus und steckte sie in die Tinte. Es zischte leise, er besah aufmerksam die Feder und nickte dann. Nun zog er umständlich die Handschuhe an, nahm eine Karte aus dem Umschlag, legte sie vor sich hin.
Er nickte Anna langsam zu. Sie hatte jeden dieser behutsamen, lange vorbereiteten Griffe mit aufmerksamem Auge verfolgt. Nun deutete er auf die Handschuhe und sagte: «Wegen Fingerabdrücke - du verstehst!»
Dann nahm er die Feder zur Hand und sagte leise, aber mit Nachdruck: «Der erste Satz unserer ersten Karte wird lauten: .»
Und wieder erschauerte sie. Es lag etwas so Unheilvolles, so Düsteres, so Entschlossenes in diesen Worten, die Otto eben gesprochen hatte. Sie begriff in einem Augenblick, daß er mit diesem ersten Satz für heute und ewig den Krieg angesagt hatte, und sie erfaßte auch dunkel, was es hieß: Krieg zwischen ihnen beiden, den armen, kleinen, bedeutungslosen Arbeitern, die wegen eines Wortes für immer ausgelöscht werden konnten, und auf der anderen Seite der Führer, die Partei, dieser ganze ungeheure Apparat mit all seiner Macht und seinem Glanz und drei Viertel, ja vier Fünftel des ganzen deutschen Volkes dahinter.
Und sie beide hier in diesem kleinen Zimmer in der Jablonskistraße allein!
Sie sieht zu dem Manne hinüber. Während sie dies alles gedacht hat, ist er erst beim dritten Wort des ersten Satzes angekommen. Unendlich geduldig malt er das «F» von Führer hin. «Laß mich doch schreiben, Otto!» bittet sie.
«Bei mir geht das viel schneller!»
Erst knurrt er wieder nur. Aber dann gibt er ihr doch eine Erklärung. «Deine Handschrift», sagt er. «Sie würden uns früher oder später durch deine Handschrift erwischen.
Dies ist eine Kunstschrift, Blockschrift - du siehst, eine Art Druckbuchstaben .»
Er verstummt wieder, malt weiter. Ja, so hat er es sich ausgedacht. Er glaubt nicht, daß er was vergessen hat.
Diese Kunstschrift kannte er von den Möbelzeichnungen der Innenarchitekten her, niemand kann einer solchen Schrift ansehen, von wem sie stammt. Natürlich fällt sie bei Otto Quangels schreibungewohnten Händen sehr grob und klobig aus. Aber das schadet nichts, das verrät ihn nicht. Es ist eher gut, so bekommt die Karte etwas Plakatartiges, das sofort das Auge auf sich zieht. Er malt geduldig weiter.
Und sie ist auch geduldig geworden. Sie fängt an, sich darein zu denken, daß dies ein langer Krieg wird. Es ist jetzt Ruhe in ihr, Otto hat alles bedacht, auf Otto ist Verlaß, immer und immer. Wie er alles überlegt hat! Die erste Karte in diesem Kriege, sie hat im gefallenen Sohne ihren Ursprung, sie spricht von ihm. Einmal hatten sie einen Sohn, der Führer hat ihn ermordet, jetzt schreiben sie Karten. Ein neuer Lebensabschnitt. Äußerlich hat sich nichts geändert. Ruhe um die Quangels. Innerlich ist alles ganz anders geworden, da ist Krieg ...
Sie holt sich ihren Stopfkorb und fängt an, Strümpfe zu stopfen. Ab und zu sieht sie zu Otto hinüber, der langsam, ohne je das Tempo zu beschleunigen, seine Buchstaben malt. Fast nach jedem Buchstaben hält er die Karte in Armeslänge vor sich und betrachtet sie mit eingekniffenen
Augen. Dann nickt er.
Schließlich zeigt er ihr diesen ersten fertigen Satz. Er nimmt anderthalb sehr große Zeilen der Karte ein.
Sie sagt: «Du wirst nicht viel heraufbekommen auf so eine Karte!»
Er antwortet: «Ganz egal! Ich werde noch viele solche Karten schreiben!»
«Und solche Karte dauert lange.»
«Ich werde eine, später vielleicht zwei Karten an einem
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