Jeder stirbt für sich allein
Sonntag schreiben. Der Krieg ist noch nicht zu Ende, das Morden geht immer weiter.»
Er ist nicht zu erschüttern. Er hat seinen Entschluß ge-faßt, und er wird nach diesem Entschluß handeln. Nichts kann ihn umstoßen, niemand wird Otto Quangel auf seinem Wege Halt gebieten.
Er sagt: «Der zweite Satz: ...»
Sie wiederholt: «Mutter, der Führer wird auch deine Söhne ermorden!»
Sie nickt, sie sagt: «Das schreib!» Sie überlegt: «Man müßte diese Karte dorthin legen, wohin Frauen kommen!»
Er denkt nach, dann schüttelt er den Kopf: «Nein. Bei Frauen, die einen Schreck bekommen, weiß man nie, was sie tun. Ein Mann wird solche Karte schnell in die Tasche stecken, auf der Treppe. Später wird er sie dann gründlich lesen. Außerdem: Alle Männer sind Söhne von Müttern.»
Er schweigt wieder, er fängt von neuem mit Malen an.
Der Nachmittag vergeht, sie denken nicht an das Vesperbrot. Schließlich, der Abend ist da, wird auch die Karte fertig. Er steht auf. Er sieht sie noch einmal an.
«So!» sagt er. «Das wäre geschafft. Nächsten Sonntag die zweite.»
Sie nickt.
«Wann trägst du sie weg?» flüstert sie.
Er sieht sie an. «Morgen vormittag.»
Sie bittet: «Laß mich dabeisein, dieses erste Mal!»
Er schüttelt den Kopf. «Nein», sagt er. «Grade das erste
Mal nicht. Ich muß erst sehen, wie das läuft.»
«Doch!» bittet sie. «Es ist meine Karte! Es ist die Karte von der Mutter!»
«Gut!» entscheidet er. «Komm mit. Aber nur bis ans Haus. Drinnen will ich allein sein.»
«Es ist recht.»
Dann ist die Karte vorsichtig in ein Buch geschoben, das Schreibzeug verwahrt, sind die Handschuhe in seine Joppe gesteckt.
Sie essen zu Abend, sie sprechen kaum. Aber sie merken gar nicht, daß sie so schweigsam sind, auch Anna nicht.
Beide sind müde, ganz als hätten sie eine schwere Arbeit hinter sich oder als sei eine weite Reise getan.
Er sagt, vom Essen aufstehend: «Ich lege mich dann gleich hin.»
Und sie: «Ich mach bloß noch die Küche. Dann komm ich auch. Gott, wie müde ich bin, und wir haben doch nichts getan!»
Er sieht sie mit einem halben Lächeln an, dann geht er schnell in die Schlafstube und fängt an, sich auszuziehen.
Aber dann, als sie beide liegen, als es dunkel ist, können sie beide nicht einschlafen. Sie wälzen sich hin und her, sie horchen auf den Atem des andern, und schließlich fangen sie an zu reden. In der Dunkelheit spricht es sich besser.
«Was meinst du», fragt Anna, «was mit unsern Karten geschieht?»
«Alle werden zuerst einen Schreck bekommen, wenn sie diese Karten daliegen sehen und die ersten Worte lesen.
Alle haben doch heute Angst.»
«Ja», sagt sie. «Alle ...»
Aber sie nimmt sie beide, die Quangels, aus. Fast alle haben Angst, denkt sie. Wir nicht.
«Die Finder», wiederholt er hundertmal Durchdachtes,
«werden Angst haben, daß sie auf der Treppe beobachtet worden sind. Sie werden die Karte schnell fortstecken und weglaufen. Oder sie legen sie auch wieder hin und verdrücken sich, und der nächste kommt ...»
«So wird es sein», sagt Anna, und sie sieht das
Treppenhaus vor sich, irgend solch ein Berliner Treppenhaus, schlecht beleuchtet, und jeder, der eine solche Karte in der Hand hat, wird sich plötzlich fühlen, als sei er ein Verbrecher. Weil eigentlich jeder denkt wie dieser Kartenschreiber und doch nicht so denken darf, weil Tod auf solchem Denken steht ...
«Manche», fährt Quangel fort, «werden die Karte auch sofort abgeben, an den Blockwart oder die Polizei: nur schnell fort mit ihr! Aber auch das macht nichts aus, ob in der Partei oder nicht, ob Politischer Leiter oder Polizei, sie alle werden die Karte lesen, sie wird Wirkung in ihnen tun. Und wenn sie nur die eine Wirkung tut, daß sie wieder einmal erfahren, es ist noch Widerstand da, nicht alle folgen diesem Führer ...»
«Nein», sagt sie. «Nicht alle. Wir nicht.»
«Und es werden mehr werden, Anna. Durch uns werden es mehr werden. Vielleicht bringen wir andere auf den Gedanken, solche Karten zu schreiben, wie ich es tue.
Schließlich werden Dutzende, Hunderte sitzen wie ich und schreiben. Wir werden Berlin mit diesen Karten überschwemmen, wir werden den Gang der Maschinen hemmen, wir werden den Führer stürzen, den Krieg beenden .»
Er hält inne, bestürzt von seinen eigenen Worten, von
diesen Träumen, die sein
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