Jeder stirbt für sich allein
ich tu, das ist meine Sache, und was du tust, das ist deine Sache. Ratschläge von dir sind unerwünscht. Dafür bist du mir noch zu grün.» Er sah, im stillen belustigt, über die Schulter in das bekniffene Gesicht des Jungen. «Junge», sagte er dann, «wenn ich hier keine Haussuchungen mehr mache, so nur darum, weil die viel zuviel Zeit gehabt haben, alles Belastende wegzu-schaffen. Und wozu so viel Aufstand um 'ne tote Juden-frau? Ich habe mit den lebendigen genug zu tun.»
Sie waren unterdes vor der Wohnung der Rosenthals angelangt. Baldur schloß auf. In der Küche wurde das Fenster geschlossen und ein Stuhl wieder aufgestellt, der umgefallen war.
«So!» sagte der Kommissar Rusch und sah sich um. «Alles in bester Butter!»
Er ging voran in die Stube und setzte sich in das Sofa, auf genau die Stelle, wo er eine Stunde zuvor die alte Frau Rosenthal in eine völlige Ohnmacht hineingebeutelt hatte. Er streckte sich behaglich und sagte: «So, mein Sohn, und nun hole uns einmal eine Flasche Kognak und zwei Gläser!»
Baldur ging, kam dann zurück, schenkte ein. Sie proste-ten einander zu.
«Schön, mein Sohn», sagte der Kommissar behaglich und brannte sich eine Zigarette an, «und nun erzähl mir mal, was du und der Borkhausen hier schon in der Wohnung vorgehabt habt!»
Er sagte schneller, als er die empörte Bewegung des jungen Baldur Persicke sah: «Überleg dir's gut, mein Sohn.
Eventuell nehme ich sogar einen HJ-Führer mit in die PrinzAlbrecht-Straße, wenn er mich nämlich gar zu unverschämt ansohlt. Überleg dir's, ob du nicht die Wahrheit vorziehst. Vielleicht bleibt die Wahrheit ganz unter uns, wollen mal sehen, was du zu erzählen hast.» Und da er Baldur schwanken sah: «Ich hab nämlich auch ein paar Beobachtungen gemacht, Observationen nennen wir so was.
Zum Bleistift habe ich deine Stiebelsohlen da hinten auf der Bettwäsche gesehen. In die Ecke biste heute noch gar
nicht gekommen. Und woher haste eigentlich so schnell gewußt, daß hier Kognak ist und wo er steht? Und was denkst du, was mir der Borkhausen alles in seiner Angst erzählt? Nee, habe ich das nötig, hier zu sitzen und mich von dir anlügen zu lassen? Dafür biste mir noch zu grün!»
Das sah der Baldur auch ein, und er packte aus.
«So!» sagte der Kommissar schließlich. «So. Na ja, jeder tut, was er kann. Die Dummen Dummes und die Klugen oft noch was viel Dümmeres. Na, mein Sohn, zum Schluß biste ja denn doch noch schlau geworden und hast den Vater Rusch nicht angelogen. So was soll nicht unbelohnt bleiben. Was möchste hier denn gerne haben?»
Baldurs Augen leuchteten auf. Eben noch war er völlig entmutigt gewesen, aber nun sah er wieder Licht.
«Den Radioapparat mit dem Plattenspieler und den Platten, Herr Kommissar!» flüsterte er gierig.
«Na schön!» sagte der Kommissar gnädig. «Ich habe dir ja gesagt, vor sechse komme ich nicht wieder hierher.
Sonst noch was?»
«Vielleicht ein oder zwei Handkoffer mit Wäsche!» bat Baldur. «Meine Mutter ist mächtig knapp mit Wäsche!»
«Gott, wie rührend!» spottete der Kommissar. «Was für
'n rührender Sohn! So 'n richtiges ergreifendes Muttersöhnchen! Na, meinethalben. Damit ist dann aber auch Schluß! Für alles andere bist du mir verantwortlich! Und ich habe ein verdammt gutes Gedächtnis dafür, wie was steht und liegt, mich legst du so leicht nicht rein! Und wie schon bemerkt, in jedem Zweifelsfall Haussuchung bei den Persickes. In jedem Fall gefunden: ein Radioapparat mit Plattenspieler, zwei Handkoffer mit Wäsche. Aber keine Angst, Sohn, solange du reell bist, bin ich's auch.»
Er ging zur Tür. Er sagte noch, über die Schulter weg:
«Übrigens, wenn dieser Borkhausen hier wieder auftauchen sollte, es gibt keine Stänkereien mit ihm. Ich mag so was nicht, verstanden?»
«Jawohl, Herr Kommissar», antwortete Baldur Persicke gehorsam, und damit trennten sich die beiden Herren -
nach einem so erfolgreich verbrachten Morgen.
Die erste Karte wird geschrieben
Für die Quangels verlief dieser Sonntag nicht so erfolgreich, wenigstens kam es nicht zu der von Frau Anna ge-wünschten Aussprache.
«Nee», sagte Quangel auf ihr Drängen. «Nee, Mutter, heute nicht. Der Tag hat falsch angefangen, an solchem Tag kann ich nicht tun, was ich eigentlich wollte. Und wenn ich's nicht tun kann, will ich auch nicht davon sprechen.
Vielleicht andern Sonntag. Horchst du? Ja, da schleicht wohl schon wieder einer von den Persickes über die Treppe
- na, laß sie!
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