Jene Nacht im Fruehling
Vergangenheit ein paar schlimme Sachen gemacht haben, aber. . .
Er packte ihre Hand, ehe sie den Satz beenden konnte, und hielt ihr Handgelenk eine Sekunde lang fest. Doch dann beruhigte er sich ein wenig und ließ es wieder los.
»Du hast doch gehört, wie man ihn Doc nannte, nicht wahr? Weißt du auch, warum er so genannt wird? Nein, antworte mir jetzt nicht! Du würdest vermutlich sagen, daß man ihm an irgendeiner Universität die Würde eines Ehrendoktors verliehen haben müßte, nicht wahr?«
Auf ihre Hand niedersehend, fuhr Mike fort: »Er wird Doc genannt, weil das eine Abkürzung für seinen eigentlichen Spitznamen ist. und sein eigentlicher Spitzname lautet >Chirurg<.«
Sie drehte ihren Kopf zur Seite, aber er faßte sie unter das Kinn und wendete ihn so, daß sie ihm ins Gesicht schauen mußte.
»Es ist mir egal, ob du es hören willst oder nicht, weil ich es dir trotzdem sagen werde. Als Barrett neun Jahre alt war, hat ihn seine Mutter, eine Prostituierte, verlassen. Ich bezweifle, ob sie oder sonst jemand wußte, wer sein Vater war. Aber was seine Mutter auch gewesen sein mag: Barrett schien eine echte Zuneigung für sie empfunden zu haben, und deshalb könnte es sein, daß etwas in ihm ausrastete, als sie ihn sich selbst überließ.
Im ersten Jahr, nachdem seine Mutter ihn gewissermaßen ausgesetzt hatte, tat der magere kleine Junge alles, was in seinen Kräften stand, um zu überleben. Im ersten Jahr wäre er fast verhungert, aber dann stahl er aus der Küche eines Restaurants ein Küchenmesser und lernte, damit umzugehen. Es gibt eine Geschichte aus dieser Zeit, deren Wahrheitsgehalt ich nicht nachprüfen konnte, in der behauptet wird, er habe mit dem Messer einem anderen Jungen, der sich aus der Mülltonne, die Doc als sein Eigentum betrachtete, Nahrungsreste holen wollte, die Finger abgehackt.«
»Nein«, flüsterte Samantha und griff sich mit der Hand an die schmerzende Kehle.
»Mit vierzehn«, fuhr Mike fort, »war Barrett so unterernährt, daß er aussah wie ein Zehnjähriger. Er war es leid, täglich nur von der Hand in den Mund zu leben. Damals war Scalpini der in der Stadt tonangebende Gangsterboß, und so beschloß Barrett, für ihn zu arbeiten. Barrett hatte große Mühe, überhaupt an den von seinen Leibwächtern geschützten Scalpini heranzukommen, doch eines Abends, als Scalpini sich gerade in seinem von ihm bevorzugten italienischen Restaurant zum Essen niedersetzen wollte, gelang ihm das doch. Scalpinis Leibwächter wollten ihn sofort wieder an die frische Luft befördern, aber Scalpini sagte, er wolle sich erst anhören, was der Junge ihm zu sagen habe. Barrett brachte nun sein Anliegen vor, daß er für Scalpini arbeiten wolle; daß er alles für ihn tun würde, überhaupt alles. Und alle Anwesenden, Scalpini eingeschlossen, lachten nun über diesen Jungen, der noch aussah wie ein Kind. Doch dann sagte Scalpini, immer noch lachend: >Bring mir Guzzos Herz, Junge, und ich gebe dir einen Job .<«
Da blickte Samantha abermals zur Seite. Sie war sich nicht sicher, worauf die Geschichte hinauslief, aber sie wußte, daß sie sie nicht hören wollte. Doch Mike schwieg so lange, bis sie ihm wieder das Gesicht zuwandte.
»Als sich Scalpini am darauffolgenden Tag zum Dinner niedersetzte, versuchte dieser magere, schmutzige Junge wieder an seinen Leibwächtern vorbei bis zu ihm vorzudringen. Scalpini, dem vermutlich die Beharrlichkeit dieses Jungen und dessen Heldenverehrung imponierten, gab seinen Leibwächtern ein Zeichen, den Jungen durchzulassen. Barrett holte daraufhin ein in blutiges Zeitungspapier eingewickeltes Etwas von der Größe eines Balls aus seiner Jackentasche und warf es auf Scalpinis Teller. Als Scalpini das Papier auseinanderfaltete, fand er darin das Herz eines Menschen.«
Samantha sagte eine Weile lang kein Wort, saß nur da, blickte Mike an und spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »Wie?« flüsterte sie schließlich.
»An fünf Tagen in der Woche pflegte Guzzo Punkt vier Uhr nachmittags seine Mätresse zu besuchen, bei der er sich dann exakt anderthalb Stunden aufhielt. Er liebte es, damit anzugeben, daß er sie die ganze Zeit über lieben würde, aber jeder wußte es besser. Er faßte die Frau überhaupt nicht oder nur sehr selten an, und man konnte ihn noch zwei Häuserblocks weiter schnarchen hören. Barrett war so mager, daß er durch den Kamin in das Schlafzimmer einsteigen konnte, in dem Guzzo schnarchte, schnitt dem schlafenden Guzzo die Kehle
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