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Jene Nacht im Fruehling

Titel: Jene Nacht im Fruehling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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versucht hatte, sie in der vergangenen Nacht zu töten, kam ihr seine Munterkeit doch etwas verdächtig vor.
    Schweigend nahm sie einen Löffel voll Joghurt zu sich und verzog das Gesicht, als sie sich bemühte, möglichst schonend diese kleine Portion geronnener Milch durch die Kehle in den Magen zu befördern. Doch Mike schien das alles nicht zu bemerken. Er setzte sich auf die Bettkante -eine Sitzgelegenheit, die er oft zu benutzen schien, wenn sie sich eine Mahlzeit teilten - und aß ein paar Erdbeeren.
    »Weißt du, Sam, ich habe nachgedacht.«
    Sie öffnete den Mund, um einen Kommentar zu dieser geistreichen Bemerkung abzugeben, unterließ es dann aber. Das Reden hätte zu sehr weh getan.
    »Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß du recht hattest, als du meintest, ich nähme zu wenig Rücksicht auf das, was du möchtest und was du durchgemacht hast. Dein Vater ist vor kurzem gestorben, und eine Scheidung muß ebenfalls eine schreckliche Erfahrung sein. Obendrein wurdest du noch von dem Testament deines Vaters gezwungen, in eine Stadt zu ziehen, die du haßt, und Dinge zu tun, die du nicht tun wolltest. Das alles muß dich furchtbar mitgenommen haben.«
    Samantha beobachtete ihn, und jeder zynische Gedanke, den sie bisher gehabt hatte, fiel ihr jetzt wieder ein. Wenn ein Mann versuchte, sich in die Gefühlswelt einer Frau hineinzuversetzen, wollte er ihrer Erfahrung nach etwas von ihr. Sie schickte Mike ein aufmunterndes Lächeln zu, das, wie sie hoffte, auch eine große Portion Mitleid mit sich selbst enthielt.
    »Ja, nun, ich dachte, daß du deshalb einen Urlaub nötig hättest, einen echten Erholungsurlaub. Irgendwo, wo es kühl ist und nicht so drückend heiß wie hier in New York. Und deshalb habe ich in der vergangenen Nacht mit Raine gesprochen - du erinnerst dich doch an ihn, nicht wahr? An meinen Vetter, der einen so großen Eindruck auf dich zu machen schien? Egal - Raine fährt nach Warbrooke. Das ist eine am Ende einer Halbinsel gelegene wunderschöne Stadt in Maine. Raine wird sich dort mit seiner ganzen Familie aufhalten, die dort ein wunderschönes Gästehaus besitzt. Du kannst dich dort ausruhen, lesen, mit dem Boot aufs Meer hinausfahren, angeln und was du sonst noch alles gern machen möchtest. Du kannst den ganzen Sommer dort verbringen, wenn du willst. Ich war mir so sicher, daß dir dieser Vorschlag gefallen wird, daß Raine noch heute nachmittag vorbeikommen, dich abholen und nach Warbrooke bringen wird. Ist das nicht großartig?«
    Während Mike sprach, beobachtete Samantha ihn. Seine Augen waren blutunterlaufen, als hätte er in der vergangenen Nacht nicht eine Minute geschlafen, und da war auch etwas in seinen Augen, was sie noch nie zuvor gesehen hatte. Warum war er plötzlich so sehr darum bemüht, sie aus der Stadt hinauszuschaffen? Warum schickte er sie mit einem Mann fort, auf den er vor ein paar Tagen noch so eifersüchtig gewesen war?
    Er wollte sie in einen winzigen, entlegenen Ort am Rand einer Halbinsel schicken - einen Ort, wo eine ganze Horde von seinen Verwandten sie im Auge behalten und sich um sie kümmern konnte. Sie glaubte nicht eine Sekunde, daß Mike sie wegschickte, weil er der Meinung war, daß sie einen Erholungsurlaub nötig habe. Vor ein paar Tagen schien er noch zu glauben, daß sie eher das Gegenteil bräuchte.
    An die vergangene Nacht zurückdenkend, versuchte sie sich nun an alles zu erinnern, was während und nach dem Überfall auf sie geschehen war. Mike fuhr inzwischen fort, ihr eine Stadt anzupreisen, die er vor kurzem noch als ein Nichts mit einer Menge Wasser darum herum bezeichnet hatte. Nun war sie plötzlich zu einem Paradies geworden, und seine Montgomery-Vettern waren die liebenswürdigsten und nettesten Menschen auf dieser Welt. Und daß er in seiner Lobeshymne immer wieder den Satz »Sie werden auf dich aufpassen« verwendete, machte sie besonders mißtrauisch.
    Sie lange über das Tablett auf ihrem Schoß hinweg und holte sich den Notizblock und den Bleistift vom Nachttisch, die dort für sie bereitlagen.
    Wer ist >Half Hand’? schrieb sie.
    Den Zettel vom Notizblock abreißend, reichte sie ihn Mike. Als sie bemerkte, wie er ganz blaß wurde beim Lesen dieses Satzes, wußte sie, daß diese Frage die Antwort für vieles ihr noch rätselhaft Erscheinendes enthielt.
    »Du hast eine sehr hübsche Handschrift, weißt du das? Hübsche runde >a<. Ich mache meine viel schmaler.«
    Wer ist >Half Hand