jennissimo (German Edition)
hätte dich so gerne einmal gehalten.“
Die Worte trafen Jenna mitten ins Herz. Zum ersten Mal erschien ihr Serenity wie ein echter Mensch und nicht wie eine Karikatur. Sie war als junges Mädchen schwanger geworden und hatte ihr Kind weggegeben. Das musste schwer gewesen sein. Etwas, das Jenna selbst nicht gern erlebt hätte.
Serenity blätterte die Seite um. Von den ersten Lebensmonaten gab es Dutzende von Fotos. Jennas erste Schritte, ihre ersten Versuche, zu essen, Fotos vom Baden. Tom berührte ein Schulfoto, auf dem Jenna sieben Jahre alt war. Jenna stellte überrascht fest, dass er Tränen in den Augen hatte.
„Da sieht sie aus wie deine Mutter“, sagte er zu Serenity und räusperte sich. „Die Form ihres Gesichts.“
„Ich weiß.“ Serenity sah Beth an. „Ich habe Jenna schon erzählt, dass ihre Großmutter eine großartige Köchin war. Sie war aus Frankreich, genauso wie mein Großvater.“
„Wann hast du Jenna denn getroffen?“, fragte Beth, eher überrascht als besorgt.
„Ich bin gestern in ihrem Laden vorbeigekommen.“
„Sie will, dass ich vegane Kochkurse gebe“, fügte Jenna hinzu.
„Das wäre mal was anderes“, sagte Beth. „Man muss wohl nur einfach die richtigen Rezepte finden, schätze ich.“
„Leben deine Eltern noch?“, fragte Marshall und schenkte mehr Sekt in sein Glas.
„Meine Eltern leben auf Hawaii“, sagte Tom. „Wir besuchen sie, sooft wir können. Aber meistens kommen sie zu uns. Serenity fliegt nicht sonderlich gern.“
„Es ist unnatürlich“, erklärte Serenity. „Ich habe es ein paarmal versucht, aber es fühlt sich einfach viel zu gefährlich an.“ Sie seufzte, dann sah sie lächelnd ein Foto von Jenna an, auf dem sie zwölf war. „Deine Großeltern bauen Bio-Kaffee an. Wir haben welchen davon in unserem Apartment, falls du ihn mal probieren möchtest.“
„Das wäre schön, danke.“
„Meine Eltern kamen vor einigen Jahren ums Leben“, sagte Serenity. „Sie sind mit ihrem Boot in einen Taifun geraten. Ich war am Boden zerstört, aber zumindest starben sie bei etwas, was sie liebten.“
„Segeln?“
„Um die Welt segeln in einem ziemlich ramponierten Boot. Das haben sie alle paar Jahre gemacht. Immer wieder sind sie an Orte gesegelt, die sie kannten. Das war ein gutes Leben.“
Jenna entschuldigte sich und ging in die Küche, um die Quiches auf ein tieferes Blech zu stellen. Als sie sich aufrichtete, war ihr schwindlig, weniger weil ihr das Blut zu Kopf gestiegen war, sondern wegen der vielen neuen Informationen, der vielen Menschen und Begebenheiten. Großeltern. Daran hatte sie bisher gar nicht gedacht. Die einzigen Großeltern, die sie kannte, waren Beths und Marshalls Eltern. Während die von Beth in ein elegantes Seniorenheim in Boca gezogen waren, lebten die von Marshall noch immer in ihrem Haus in Houston. Die Großeltern, die sie kannte, flogen nach Europa oder machten Kreuzfahrten auf gigantischen Schiffen. Sie segelten nicht um die Welt oder bauten Kaffee auf Hawaii an.
Sie kannte diese Leute nicht. Sie hatte keine emotionale Bindung zu ihnen – aber doch immerhin eine biologische. Ohne Serenity und Tom würde es sie nicht geben. Sie hatte Brüder undGroßeltern. Wahrscheinlich gab es auch noch Onkel und Tanten und Cousinen …
Die nächsten Minuten beschäftigte sie sich damit, das Essen auf den Tisch zu stellen, das nicht aufgewärmt oder gekühlt werden musste. Wie sie feststellte, hatte ihre Mutter Tom und Serenity nebeneinander platziert, was bedeutete, dass Jenna ihnen auf ihrem üblichen Platz direkt gegenübersitzen würde. Da kann man nichts machen, dachte sie sich und goss sich noch ein Glas Sekt ein.
„Wie geht es dir?“, fragte Serenity, die ihr in die Küche gefolgt war.
„Gut“, antwortete Jenna automatisch.
„Ich frage nur, weil ich spüre, dass dich irgendetwas quält.“
Jenna sah sie verblüfft an. Ob Serenitys Direktleitung zum Universum ihr diese unerwarteten Einblicke verschaffte? „Nein, alles ist gut“, log sie. „Mich quält nichts.“
„Natürlich nicht“, sagte Beth, die ebenfalls in die Küche gekommen war. „Jenna ist sehr glücklich mit ihrem Laden. Sie hat in kürzester Zeit so viel erreicht, nicht wahr, Liebling?“
Obwohl Jenna nickte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass Serenity nicht ganz überzeugt war.
Bald waren die Quiches fertig und die Zimtschnecken knusprig braun.
„In dieser Quiche hier sind nur Eier, Käse und Gemüse“, sagte Beth, als alle am Tisch saßen.
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