Jenseits aller Vernunft
Händler, nur um zu schauen.
Natürlich war von ihm keine Freundlichkeit zu erwarten. Er hatte kaum mit ihr gesprochen seit seinem Ausflug nach Owentown und Winston Hills gleichzeitigem Besuch bei ihr. Jetzt schlief er wieder jede Nacht unter dem Wagen. Das fiel niemandem auf, denn viele Männer im Treck hielten es, wie gesagt, genauso.
Lydia bemerkte es schmerzlich. Sie vermi ss te das Geräusch seines Atems im Wagen und überhaupt seine Gegenwart.
»Lä ss t deine Ma dich denn nichts kaufen?« fragte Lydia, ohne auf den Kloß in ihrer Kehle zu achten.
»Pa hat jedem von uns einen Groschen gegeben.«
»Dann lauf schnell und kauf ein, bevor Priscilla Watkins dir alles wegschnappt.«
Anabeth lachte und fragte dann wieder ernst: »Ja, mach ich. Wollt Ihr wirklich nicht mitkommen?« Sie hatte sich gefreut, Lydia die gute Nachricht zu überbringen. Doch so interessant schien Lydia sie gar nicht zu finden.
Die ältere schüttelte den Kopf. »Du kannst ja später vorbeikommen und mir zeigen, was du erstanden hast.«
Anabeth setzte die ersten Schritte zögerlich, doch dann packte der ursprüngliche Jubel sie wieder, und sie flog zum Flu ss hinunter.
»Lydia.« Sie schaute über die Wäscheleine zu Ross.
»Ja?«
Er nahm ihre Hand und zog sie unter den nassen Kleidern hindurch. Dann legte er ihr mehrere Münzen in die Handfläche. »Geh und kauf dir etwas.«
Sie betrachtete das Silber in ihrer Hand und sah dann auf zum Wagen. Sie wusste , dass Ross sein Geld irgendwo darin versteckt hatte, doch das war ihr gleichgültig. Sie hatte noch nie Geld besessen, und sein Wert bedeutete ihr nichts. Doch diesmal war das anders, weil er es ihr schenkte.
»Ich brauche doch nichts.«
»Kauf nichts, was du brauchst. Kauf etwas, das dir gefällt.«
Hoffnungsvoll sah sie in seine grünen Augen auf und fragte: »Warum?«
Die Frage verstimmte Ross. Wenn Hill kam und ihr eines seiner kleinen Geschenke brachte - eine Honigwabe, die er gefunden hatte, so süß wie seine Art zu reden, frischen Pfirsichkuchen, den Moses gerade gebacken hatte - fragte sie nie nach einem Grund. Natürlich hatte der Herr mit den perfekten Manieren es immer vorher mit Ross abgesprochen, bevor er seiner Frau - verdammt noch mal, seiner Frau - ein Geschenk überbrachte. Lydia hatte sich jedesmal schüchtern und gesenkten Blickes bedankt. Aber von ihm, ihrem eigenen Mann? O nein, seine großzügige Geste konnte sie nicht einfach mit einem sanften Lächeln erwidern, das sie Hill immer zukommen ließ.
Ross hätte sich niemals eingestanden, dass er eifersüchtig war. Doch genau das vergiftete im Augenblick seine ganze Welt. So antwortete er auch nur: »Weil sonst alle denken, dass ich meiner Frau -« er dehnte das Wort - »nicht einmal ein paar Groschen für den Händler überlasse.«
Sein Ton tat ihr weh. Also nahm sie nur Lee auf den Arm und wandte sich zum Gehen. Das Geld würde sie sicher nicht für sich ausgeben, aber vielleicht fand sie etwas für das Kind.
» Lass Lee hier. Ich kann auf ihn aufpassen.«
»Nein!« Sie wandte sich heftig zu ihm um und schüttelte die Hand mit dem Geld. »Ich kümmere mich um ihn. Dafür werde ich schließlich bezahlt, oder?« Sie gönnte ihm keine Zeit zu antworten, sondern marschierte davon.
Der Unabhängigkeitstag begann klar und heiß. Das ganze Lager war erfüllt von Hochstimmung. Heute hatten sie einen echten Feiertag eingelegt, an dem sie nicht weiterfuhren, sich Zeit nahmen zum Backen, zum Lachen, für Musik und Fröhlichkeit.
Ma hatte Lydia doch überreden können, sich beim Händler von dem goldenen Stoff genug für ein Kleid zu kaufen. Lydia war keine besonders gute Schneiderin, aber mit Mas Hilfe und einem Schnittmuster, das sie bei Mrs. Rigsby ausgeliehen hatte, schnitten sie die Teile aus. Ma nähte fast jeden Abend daran; und Lydia hatte ein schlechtes Gewissen; aber Ma meinte, sie würde ganz gern ab und zu in der Ruhe des Coleman-Wagens sitzen, lieber als in ihrem eigenen Familienchaos. Auf diese Weise war das Kleid rechtzeitig fertig geworden.
Sie hatten das Lager am Ouachita-River aufgeschlagen. Nach einem feuchten Frühling war es dort trotz der Sommerhitze noch grün. Die Damen durften zuerst im Fluss untertauchen, und sobald die morgendliche Arbeit vollbracht war, gingen sie mit Handtüchern und Seife hinunter, um seit langem wieder einmal ein richtiges Bad zu genießen.
Die Festlichkeiten begannen bei Sonnenuntergang. Die Männer kamen frischgeschrubbt vom Fluss zurück, den sie am
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