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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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bekommen und etwas Niedliches erfunden. Doch wovor hatte sie Angst bekommen? Er war zum Haareausreißen scheißfreundlich gewesen. Sogar zu dem Scheißköter war er freundlich gewesen.
    Routinemäßig brachte er den Ausfahrtkringel von Brixen hinter sich. Am Stoppschild hielt er an und bog nach rechts ab. Bruneck 28   km.
    Thorsten Gollek hatte Herzklopfen. Draußen war es windig, die Büsche und Bäume neigten sich. Er sah auf die Uhr. Es war Viertel vor fünf.
    »Polizeipräsident?«, fragte er in die Stille hinein. »Dein Vater?« Es fiel ihm schwer, sich das vorzustellen.
    »Ja, und wenn ich nicht rechtzeitig daheim bin, wird er nervös werden. Er ist sehr ängstlich, was mich angeht. Ich habe von Gargnano aus zu Hause angerufen, und er kann sich ja ausrechnen, wie lange es dauert.«
    »Aha. Von Gargnano kommst du also. Und was hast du dort gemacht?«
    Aus dem Augenwinkel notierte er, wie sie die Arme vor dem Körper verschränkte und die Haare zurückwarf. Wieder faszinierte ihn ihre rote Mähne. Es würde ihm großen Genuss bereiten, mit gespreizten Fingern durchzufahren. Ein körperliches Wohlbehagen kroch ihm in die Glieder, wenn er sich das vorstellte.
    »Ach, ich habe jemanden besucht«, unterbrach sie seine Phantasie. »Nichts von Bedeutung. Und ich will bald nach Hause. Wie lange werden Sie mit dem Entladen brauchen?«
    Tja, wie lange würde er brauchen? Er musste sich eingestehen, dass er überhastet und ohne Plan gehandelt hatte. Am liebsten hätte er jetzt eingeparkt, die Hände im Nacken verschränkt und nachgedacht. Doch dazu war es zu spät. Er musste handeln.
    * * *
    »Was tun Sie da? Wo wollen Sie hin? Warum wenden Sie? Wir sind doch noch nicht in Bruneck!« Amelie geriet außer sich vor Angst. Sie spürte, wie ihre Augen sich langsam mit Tränen füllten. Vergeblich rüttelte sie an der Tür. Er musste sie verriegelt haben, während er gewendet hatte. Nun fuhr er zurück Richtung Brixen.
    »Ich möchte dir nur ein bisschen die wunderschöne Aussicht zeigen. Wir fahren dort hinauf«, er zeigte nach Norden auf einen bewaldeten Höhenrücken. »Wir befinden uns im Pustertal, und da drunten der Fluss, das ist die Rienz. Sie ist eiskalt …«
    Zuerst stockte ihr der Atem. Dann nahm sie alle Luft zusammen und schrie unter Tränen hinaus: »Ich weiß, wo wir sind! Scheiß-Pustertal!«
    Giorgio schien zu spüren, was los war. Er wuselte am Boden herum und machte einen Höllenlärm.
    Amelie warf sich mit ihrem ganzen Gewicht zur Seite und griff mit beiden Händen ins Steuer. Mit großer Energie versuchte sie, es herumzureißen. Doch gegen seine urwüchsige Kraft hatte sie keine Chance. Er wischte ihre Hände weg wie ein Blatt Papier. Und er nutzte diese Kraft nicht nur, um sie abzuwehren. Er holte aus und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht.
    »Halt’s Maul!«, brüllte er.
    Für einen Augenblick spürte sie keinen Schmerz. Sie war so überrascht, dass ihr Herz auszusetzen drohte. Alles Blut wich ihr aus dem Gesicht. Ihre Hand fuhr über die Wange. Sie kam blutig zurück. Die Nase blutete.
    Der Hund gebärdete sich wie rasend. Wie ein wildes Tier fletschte er das Gebiss und wollte sich auf die Beine des Fahrers stürzen, die in dicken Stiefeln steckten. Doch ein kräftiger Tritt traf seinen Unterkiefer. Er überschlug sich nach hinten und blieb benommen liegen.
    Besorgt strich ihm Amelie über den Kopf. Giorgio öffnete die Augen, zitterte am ganzen Leib, blieb aber liegen.
    Am liebsten hätte Amelie die Hände vors Gesicht geschlagen und wäre in verzweifeltes Jammern ausgebrochen, so wehrlos fühlte sie sich. Der Mann hatte eindeutig schlechte Absichten. Sehr schlechte wahrscheinlich. Sie war ihm hilflos ausgeliefert. Hilflos? War sie das? Mit einem Mal wurden all ihre Überlebensinstinkte geweckt.
    Ihr kleines Reisebesteck mit Schere und Nagelfeile war tief unten im Rucksack unter den Büchern verborgen. Am Körper trug sie nichts Derartiges. Doch neben der Tür war ein spitzer Nothammer befestigt, mit dem man im Notfall die Scheibe einschlagen konnte. Sie warf einen schrägen Blick darauf.
    »Lass das!«, ertönte rau die Stimme von gegenüber. »Ich bin schneller.«
    * * *
    »Los, geh voran. Ich zeig dir die Landschaft. Und das Tal. Und die Rienz. Und falls dir kalt wird – hier ist eine Decke.«
    Er hatte den überlangen Lkw auf einen Waldparkplatz gefahren. Glück gehabt. Der Platz war leer, und auch unterwegs war wenig Verkehr gewesen. Thorsten Gollek wusste, was er wollte. Er

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