Jenseits der Alpen - Kriminalroman
elfjährige Tochter bekäme dieses Buch in
die Hand!
Es beginnt schon damit, dass Artur Josef, unser Hauptdarsteller,
voller Schreck aus seinem Garten stürzt. Er hatte einen mordsmäßigen Krach
gehört und gleich aus dem Fenster geschaut. Einen krachartigen Aufschlag mit
anschließendem Kreischen, als ob sich eine Kreissäge durch einen Sarg aus
konserviertem Zirbelholz arbeitet.
Dann war alles still.
Artur kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Nicht weiter
bemerkenswert, denn zwischen dem Fettwulst der Augenbrauen und den wie
aufgeblasen wirkenden Wangen waren die Augen eh schon sehr eingeengt. Dann
strich er sich nachdenklich mit dem rechten Handrücken über den Schnauzbart.
Eile empfand er zunächst nicht.
Der Anblick, der sich ihm auf der gegenüberliegenden Seite der
Straße bot, war recht unerfreulich. Vor wenigen Minuten noch war die kleine
Rasenfläche vor dem halbrunden Musikpavillon mit halbmeterhohem Schnee bedeckt
gewesen und funkelte – ganz untypisch für einen sonst eher grauslichen
Novembertag – in der Nachmittagssonne wie ein außerirdisches Kleinod. Jetzt
aber war der jungfräuliche Schnee aufgewühlt, als hätte jemand mit der
Mistgabel darin herumgefuhrwerkt. Das lag an dem protzigen, glänzenden anthrazitfarbenen
Geländewagen, der mit der Schnauze voran im Dreck steckte. So weit hatte er
sich durchgewühlt. Mit den Vorderrädern durch achtzig Zentimeter Schnee
hindurch in sechzig Zentimeter Gefrorenes hinein.
Das gewienerte Anthrazit strahlte mit dem verbliebenen Restschnee um
die Wette und funkelte in der Sonne. Die geöffneten Fahrer- und Beifahrertüren
waren wie Flügel weggestreckt, als Artur sich umsichtig dem Unfallort näherte.
Auf der Fahrerseite des Wagens lag in dem zerwühlten Schnee ein
weißbärtiger, bebrillter Hundertjähriger im grünbraunen Lodenmantel auf dem
Rücken, die Beine seltsam verdreht, wie eine unzufriedene Schaufensterpuppe
beim Dirndl-Gachinger.
Dass die Polizei gleich vor Ort war, um den bedauerlichen Unfall
aufzunehmen und den Notarzt zu rufen, lag nicht an ihrer Schnelligkeit. Nein,
sie waren damit beschäftigt gewesen, im Vorbeifahren einem falsch geparkten
Wagen auf der anderen Straßenseite einen Strafzettel hinzupappen, und wurden
bei dieser hoheitlichen Aufgabe durch den unüberhörbaren Unfallkrach gestört.
Unwillig wandten sie sich von ihrem Strafzettelgeschäft ab und dem
schauderhaften Geschehen in ihrem Rücken zu.
Auf der rechten Seite des Geländeprotzes kam schrilles Geplärr aus
der Mini-Schneelandschaft vor dem Pavillon. Das Schreien entfloh dem süßen Mund
von Everl, der vier- oder fünfjährigen goldigen Enkelin von Artur. Nicht nur,
dass das goldige Everl Schnee geschluckt hatte. Das Kind war auch schwer
verletzt, sein Kopf war blutüberströmt. Der Großvater hatte einen solchen Kloß
im Hals, dass er kaum atmen konnte. Er rannte sofort hin, um Everls Hand zu
halten, sie zu trösten, doch Blut floss weiterhin. Erst als der Notarzt endlich
eintraf, konnte Artur sich etwas beruhigen. Sie kam ins Klinikum.
Was Arturs Ehefrau anging, so war da nichts mehr zu machen. Ihre
verstümmelten Überreste wurden von einer Wolldecke verhüllt, die geschockte
Nachbarn über sie gebreitet hatten. Bernadette hatte nicht lange leiden müssen.
Nun muss man wissen, dass Arturs Tochter Franziska – er hatte sie
Franzerl genannt, solange er noch gut drauf war – vor eineinhalb Jahren in
einem Baggersee ums Leben kam. Es hatte sich um keinen reinrassigen Badeunfall
gehandelt. Das Franzerl hatte sich den Luegsteinsee ausgesucht, weil der schön
tief ist, hatte sich einen halben Zentner Beton um den Hals gehängt und war an
der allertiefsten Stelle hineingehüpft. Nicht die Öde des grauen,
wolkenverhangenen Himmels an jenem Tag war schuld an diesem Hüpferer gewesen.
Vielmehr war der Grund ganz einfach im Hinscheiden ihres über alles geliebten
Mannes Dankwart – er stammte aus Sachsen-Anhalt – zu suchen, den vor Schreck
über die siebte Heimniederlage in Folge der Münchener Bayern in der
Allianz-Arena in Fröttmaning der Schlag traf. Nach dem vierten Tor in der
zweiten Halbzeit hielt es Dankwart aus Sachsen-Anhalt nicht mehr aus und
verschied. Daraufhin wollte seine Frau, das Franzerl, nicht mehr leben. In
einem rührenden Abschiedsbrief bat sie ihre Eltern, sich um das goldige Everl
zu kümmern, klaute vom nahen Wertstoffhof den Betonklotz und sprang.
Sie merken schon, ich habe nicht übertrieben. Der Artur ist mehr als
nur ein Pechvogel,
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