Jenseits der Eisenberge (German Edition)
Anblick all des Schmerzes in diesem Gesicht, das er so sehr liebte. Stöhnend schaute der Gefangene auf zu der Priesterin in brauner Kutte, die sich mit einem Becher in der Hand über ihn beugte.
„Trink das“, befahl sie ihm, hielt ihm den Becher an die Lippen, während einer der beiden Geweihten in der blauen Tracht des Himmelsvaters ihm half, den Kopf zu heben.
Er wusste, dieser Trank würde nicht die Schmerzen lindern, sondern nur dafür sorgen, dass der Gefangene für die gesamte Dauer des Rituals bei Bewusstsein blieb.
„Er ist zu kalt“, sagte die Priesterin, ohne die Stimme zu heben. Die zweite Geweihte der Erdmutter, die sich bislang still im Hintergrund gehalten hatte, wandte sich sofort um, eilte aus dem Verlies und kehrte rasch mit einer schmutzigen Decke zurück, die man gnädig über den zerschundenen Körper breitete.
„Was habt ihr vor?“, fragte der Gefangene heiser. Sein Blick irrte zu der Wand, hinter der er sich verbarg – hatte er sich durch einen Laut verraten? Es machte ihn stolz zu sehen, dass die Folter diesen Mann nicht hatte brechen können; das Feuer, das schon immer in den dunklen Augen geleuchtet hatte, brannte mit unverminderter Kraft.
Keiner der Geweihten gab Antwort. Stattdessen befestigten sie Lederriemen an seinem Kopf, bis er sich nicht mehr rühren konnte.
Einer der männlichen Priester drehte kurz den Kopf in die Richtung, wo sich die Sehschlitze befanden, und nickte ihm zu. Es war derjenige, der ihn in den Geheimgang geführt hatte. Nun zog er ein unscheinbares silbernes Amulett aus seiner Robe und legte es auf die Stirn des Gefangenen, genau zwischen seine Augen.
„Was macht ihr mit mir?“, rief er. Angst lag in seiner vom Schreien rauen Stimme. Niemand gab ihm Antwort.
„Die große Mutter schenkt uns allen ein Leben. Aus ihrem Leib gehen wir hervor. In ihren Leib kehren wir zurück“, intonierten beide Priesterinnen gemeinsam und zeichneten mit einer dunklen Paste etwas auf die rechte Wange des Gefangenen, was der alte Mann nicht sehen konnte.
„Der große Vater schenkt uns allen Erkenntnis. Sein Geist segnet unser Dasein“, sprachen die zwei Priester zugleich und ließen einige Tropfen einer Flüssigkeit auf den Gefesselten niederregnen.
Dann legten alle vier einen Finger auf das Amulett und begannen in einer fremden Sprache zu murmeln. Eine fühlbare Spannung baute sich auf, die auch ihn als Beobachter erfasste und ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Das Amulett begann, aus sich selbst heraus in einem warmen Licht zu leuchten und zu pulsieren. Rasch, aber gleichmäßig, wie ein Herz, das voller Angst dahinjagte.
„Was du warst, was du bist, die Geschichte deines Lebens wird bewahrt bleiben“, flüsterten die Priester, wechselten danach wieder in die fremdartige Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte. Der Gefangene, der bis dahin starr dagelegen hatte, mit angstvoll geweiteten Augen und abgehackten Atemstößen das Ritual ertragen hatte, begann plötzlich zu schreien. Ein hoher, schriller Laut, wie von einem Tier, das aufgeschlitzt wurde. Es zerriss ihm das Herz, doch er konnte sich nicht abwenden. Er sah, wie sich das Opfer in seinen Fesseln wand, sich aufzubäumen versuchte. Dann brach der Schrei ab, so unvermittelt, dass die nachfolgende Stille unerträglich schien. Die vier befreiten den nun reglos daliegenden Mann von allen Fesseln und traten zurück. Das silberne Amulett verschwand im Ärmel eines der Geweihten.
„Sag deinen Namen!“, befahl die Priesterin, die das Ritual zu leiten schien.
Der Blick des Gefangenen blieb leer, das Gesicht ausdruckslos.
„Sag deinen Namen!“, wiederholte sie.
„Ich … weiß nicht“, wisperte der Mann, so leise, dass es kaum zu hören war.
Zufrieden nickten die Priester sich zu, hoben ihn von dem Podest und legten ihn zurück auf den Boden. Er starrte unbewegt ins Leere, wie eine zerstörte Puppe, die achtlos in eine Ecke geworfen worden war.
„Lasst ihm die Decke“, bestimmte die Priesterin. „Ich werde das mit dem Kerkermeister besprechen.“ Damit ergriffen sie ihre Fackeln und verließen den Raum, der nun in vollkommener Finsternis versank.
Er blieb still sitzen, bis sich ihm eine Hand auf die Schulter legte, und folgte dem Priester. Hinaus auf den Gang, die Treppe hoch, bis sie wieder in der großen Halle angelangt waren, die zu dieser nächtlichen Stunde verlassen und dunkel dalag.
„Er wird sicher sein, Herr“, flüsterte der Geweihte.
„Ich danke Euch“, erwiderte er, zu
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