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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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dachte.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Joern. »Ich habe nur so eine Ahnung. Erzähl mir lieber vom Kjerk.«
    Da erzählte ich ihm alles, was ich wusste, und Joern sagte: »Dann müssen wir also zurück zu der Schafskoppel im Wald, wo alles passiert ist. Vielleicht finden wir seine Spur.«
    An etwas so Naheliegendes hatte noch keiner gedacht, was mich verblüffte.
    »Ähm, genau dorthin reiten wir«, erklärte ich, als hätte ich das die ganze Zeit schon vorgehabt. »Aber diesmal nehmen wir eine Waffe mit.«
    Und ich holte meinen Bogen von seinem Haken im Stall.
    Joern runzelte die Stirn, als ich zurückkam. »Ein Bogen?«, fragte er.
    Ich lachte. »Wenn du denkst, das ist ein Kinderspielzeug für Cowboy-und-Indianer-Spiele, dann täuschst du dich«, sagte ich. »Mein Vater hat ihn mir geschenkt und er hat mir das Schießen beigebracht. Komm, ich zeig es dir.«
    Ich ging mit Joern mitten auf den großen Hof, dorthin, wo das Taubenhaus auf einem hohen Pfahl stand.
    »Siehst du das Auge der Taube?«, fragte ich. Joern nickte. Er hatte seinen Blick auf die Taube gerichtet, die auf dem Vorsprung vor dem Häuschen saß, und bestimmt dachte er, ich meinte diese Taube. Oben auf dem Dach gab es aber noch eine andere Taube, eine Taube aus angemaltem Holz, und ihr Auge war ein Loch, so groß wie eine Kirsche.
    Ich spannte die Sehne meines Bogens, wie ich es schon viele Hundert Male getan hatte, und dann zischte mein Pfeilhinauf in den blauen Himmel, flog bis zum Taubenhaus, durch das Auge der ausgesägten Taube und blieb schließlich im Boden stecken.
    Joern pfiff anerkennend.
    »In deiner Welt können die Leute seltsame Dinge.«
    Und dann kletterte er hinter mir auf Westwinds Rücken und ich lenkte Westwind zur Schafskoppel im Wald, den Bogen über der Schulter. In mir kribbelte es dabei vor Stolz. Ich konnte seltsame Dinge. Was konnten die Leute in Joerns Welt?
    Auf dem Weg zur Waldkoppel kamen wir an der anderen Koppel vorbei, auf die Johann die Schafe am Morgen getrieben hatte. Tök, unser zotteliger Hütehund, schlief in der Sonne am Gatter. Als er uns sah, stand er auf und bellte. Flop rannte zum Zaun und sie berochen sich durch das Gatter. Tök schüttelte sich ein paarmal und nieste.
    »Er riecht die Schwarze Stadt«, sagte Joern. »Aber jetzt will ich nicht an die Schwarze Stadt denken, jetzt wo ich so viele weiße Schafe zu sehen kriege! Weißt du was, Lasse? Ich habe noch nie ein echtes Schaf gesehen.«
    »Guck, die Lämmer dahinten!«, sagte ich und lenkte Westwind ganz nahe an den Zaun. »Wie sie herumhüpfen! Sie haben schon vergessen, dass eines von ihnen fehlt. Mit Perwol waren es sieben.«
    Joern schwieg eine Weile. Vielleicht sah er den Lämmern beim Springen zu und wunderte sich, wo er doch noch nie ein echtes Schaf gesehen hatte.
    »Lasse«, sagte er endlich leise. »Es müssten doch sechs Lämmer sein, wenn es sieben waren und eines tot ist?«
    »Ja, natürlich«, antwortete ich. »Und es sind auch sechs. Zähl nur mal nach.«
    »Das habe ich gerade getan«, sagte Joern. »Es ist schwierig, weil sie nie still stehen. Aber, Lasse … es sind nur fünf.«

Die Augen des Waldes
    I ch begann ebenfalls die Lämmer zu zählen und mir wurde ganz kalt. »Es fehlt noch eines«, sagte ich. »Tök? Tök, passt du denn nicht auf die Schafe auf?«
    Ich merkte, dass meine Stimme ärgerlich war, und Tök merkte es auch. Er sah mit seinen brauen Hundeaugen zu mir auf und hechelte eifrig. Natürlich passe ich auf sie auf, hieß das.
    »Vielleicht hat es schon heute Morgen gefehlt«, sagte Joern. »Ihr habt es sicher nicht gemerkt bei all der Aufregung. Es wird Zeit, dass wir zu der Koppel im Wald reiten, Lasse. Irgendeinen Hinweis muss es dort zu finden geben.«
    Da gab ich Westwind ein Zeichen mit meinen Hacken und wir schossen davon, den Weg am Waldrand entlang. Es war der gleiche Weg, den ich am Morgen geritten war, und doch schien alles ganz anders. Die Vögel im Geäst sangen leiser und die Sonne schien nicht mehr durch die grünen Blätter zu dringen. Es war, als lauschte der Wald, angespannt, ängstlich. Was wusste der Wald, was wir nicht wussten?
    Die Koppel auf der kleinen Lichtung lag leer und verlassen.
    Wir saßen ab und gingen über das grüne Gras. An einer Stelle war es braun und verklebt von Blut. Flop schnüffelte lange an dem Fleck und Joern kniete sich neben ihn.
    »Such, Flop!«, flüsterte er. »Such eine Spur!«
    »Kann er das?«, fragte ich. »Tök kann so etwas nicht, glaube ich. Er kann nur

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