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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Schafe hüten.«
    Flop stellte seine Ohren auf, vergrub seine Nase noch tiefer im blutverkrusteten Gras und bellte einmal ganz kurz. Dann lief er quer über die Koppel, schlüpfte unter dem Zaun durch und sah sich nach uns um.
    »Dort hängt etwas Dunkelblaues im Gebüsch«, sagte Joern.
    Da sah ich es auch. Wir gingen hinüber und Joern pflückte das Dunkelblaue von einem Ast wie eine seltsame Blüte. Es war eine Feder.
    »Gibt es hier im Wald blaue Vögel?«, fragte Joern.
    »Nein«, sagte ich. »Die einzigen Vögel mit blauen Federn, die ich kenne, sind Eichelhäher. Aber die Federn von Eichelhähern sind gestreift und heller. Eine so tiefblaue Feder habe ich noch nie gesehen.«
    »Da drüben hängt noch eine«, sagte Joern.
    Und er hatte recht.
    »Es ist eine Spur«, flüsterte ich. »Eine Spur, für die man keine Hundenase braucht.«
    Ich rief Westwind und er kam herangetrottet. Wir saßen wieder auf und folgten der Spur aus tiefblauen Federn.
    Manchmal verloren wir sie und Flop führte uns, die schwarze Nase dicht über dem Waldboden. Aber meistenswar die Spur gut zu sehen. Es kam uns vor wie eine Schnitzeljagd. Joern sammelte alle blauen Federn ein. Es waren Dutzende.
    »Am Ende«, sagte er und grinste, »können wir eine Bettdecke mit all den Federn füllen.«
    »Unter so einer Bettdecke möchte ich nicht schlafen«, antwortete ich ernst. »Das wird eine Bettdecke, unter der man nur Albträume hat.«
    Nachdem ich das gesagt hatte, schwiegen wir lange. Es war gut, zu schweigen und zu fühlen, dass jemand hinter einem saß, der einem sagte, wie er über die Dinge dachte. Manchmal glaubte ich, auf dem Boden getrocknetes braunes Blut zu sehen, doch ich war mir nicht sicher. Und schließlich trat Westwind auf eine der vielen Lichtungen des Waldes hinaus und wir blinzelten ins Sonnenlicht. Neben der Lichtung erhob sich ein kleiner Hügel aus Felsen, halb verborgen unter Gebüsch und Moos.
    »Wetten, dort hat ein Fuchs seinen Bau«, sagte ich.
    Joern antwortete nicht. Er glitt von Westwinds Rücken und ging durchs hohe Gras. Es war so hoch wie an meinem Lieblingsplatz, aber hier gurgelte kein Fluss und hier spielten keine Kaninchen. Flop schlich hinter Joern her, als hätte er Angst. Die Sonne schien zwar, doch irgendwie fror ich trotzdem und der Wind, der durch die Bäume strich, schien eine Warnung zu wispern.
    »Wohin gehst du?«, fragte ich.
    Da bückte sich Joern und hob etwas aus dem Gras auf. Es hing schlaff von seiner Hand herab und es war einmal weißgewesen. Jetzt war es rot. Ich biss mir auf die Lippen, bis ich mein eigenes Blut schmeckte, denn sonst hätte ich schreien müssen und das tun nur Mädchen. Dann kletterte ich ebenfalls von Westwind und ging zu Joern hinüber. Westwind schnaubte, als wäre ihm gar nicht behaglich auf dieser Lichtung.
    Nach einer Weile senkte er den Kopf und begann zu grasen. Dabei trat er ein wenig seitwärts, zum Rand der Lichtung, und schließlich hinein in den Wald.
    »Mein Pferd ist ein Angsthase«, sagte ich. »Sieh nur, Joern. Es versucht sich heimlich aus dem Staub zu machen.«
    Aber ich sorgte mich nicht wirklich um Westwind. Wenn ich ihn rief, würde er sicher wiederkommen.
    Joern hielt mir das Lamm entgegen – es hing in seinen Armen wie ein erschossener Hase.
    »Es hat eine Wunde am Hals«, sagte Joern. »Eine Wunde, glatt wie ein Schnitt. Sonst nichts.«
    »Ich frage mich, warum er sie nicht frisst«, flüsterte ich. Die Lichtung war zu kalt und zu bedrohlich, um den Namen des Kjerks auszusprechen. »Er hat das Lamm bis hierher geschleppt, aber gefressen hat er es nicht. Das macht keinen Sinn, nicht wahr?«
    »Er tötet«, sagte Joern, »um zu töten.« Er wies mit dem Kopf zu dem schwarzen Loch zwischen den Felsen hinüber. »Fuchsbau, ja, Lasse?«, sagte er. »Ich möchte wetten, dort sind schon lange keine Füchse mehr zu finden.« Er sah den Bogen an, der noch immer über meiner Schulter hing.»Wirst du hineingehen?«, fragte er. »Und einen Pfeil auf ihn abschießen?«
    »Äh, vielleicht morgen«, sagte ich. Und auf einmal kam ich mir sehr lächerlich vor. Hier stand ich mit meinem Bogen und konnte durch das Auge einer Holztaube in vier Meter Höhe schießen. Aber um in einen dunklen Höhleneingang zu kriechen, war ich plötzlich viel zu feige. Wie konnte Joern nur so ruhig dastehen, ein totes Lamm in der Hand, ein paar Meter von dieser Höhle entfernt, in der etwas wohnte, das tötete, um zu töten? Hatte er keine Angst? Doch dann sah ich in seine Augen und

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