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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sicher, Lasse. Er trägt eine Inschrift. I & D. Sieh mal nach.«
    Ich hielt den Ring dicht vor meine Augen und Joern hatte recht. I & D. Die beiden Buchstaben waren innen ins Gold des Ringes eingraviert.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich verwundert.
    Und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass es vielleicht falsch war, Joern zu vertrauen. Ich kannte ihn erst seit ein paar Tagen. Was, wenn er mich angelogen hatte? Weshalb war er überhaupt hier?
    All das dachte ich in einer Sekunde. Es war eine kurze Sekunde. Sie zog vorbei wie ein Windstoß. Joern war mein Freund. Ich musste ihm vertrauen, denn Freunden muss man vertrauen. Es gab keine andere Wahl.
    Er kramte in der Tasche seiner halb garen Hose, fischte etwas heraus und legte es in meine Hand. Es war ein Ring. Ein goldener Ring mit einem Edelstein, der in allen Farben des Regenbogens glitzerte. Der gleiche Ring wie meiner, nur etwas kleiner und zierlicher.
    »Und das ist noch nicht alles«, sagte Joern. »Sieh durch den Stein.«
    Ich hielt den Stein meines Ringes vor ein Auge und kniff das andere zu. Und was ich sah, lässt sich nicht beschreiben. Der Wald war kein Wald mehr, sondern eine Explosion aus Farben. Ich wollte laut lachen, so schön war es. Doch irgendwie war es auch falsch. Ich wusste nicht, wieso.
    »Was … was ist das?«, flüsterte ich. »Alles ist so bunt, so seltsam …«
    »Das ist Nachtspat«, antwortete Joern. »Ich habe meinen Ring hinter der untersten Schublade unserer Kommode gefunden. Onnar hilft im Bergwerk, diesen Stein abzubauen. Und meine Mutter steht an einer Maschine, die ihn schleift. Es ist seltsam, Lasse. Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, hier hängen zu viele Dinge zusammen.«
    Lange, lange saß ich an diesem Tag am Feuer und sah durch das winzige Stück Nachtspat. Unsere Kleider dampften und trockneten auf ihren Stöcken und unter uns rauschte der Fluss vorbei. Durch den Nachtspat jedoch sah alles anders aus. Die Kleider wurden zu seltsamen Wesen voller bunter Auswüchse, die Felsen im Fluss wechselten ihre Farben und Joern selbst hatte sich in die merkwürdigste Gestalt verwandelt, die man sich vorstellen konnte. Ich wollte über das nachdenken, was er gesagt hatte: Zu viele Dinge würden zusammenhängen. Aber die Bilder, die mir der Nachtspat vorgaukelte, füllten meinen Kopf ganz aus.
    Wenn man durch Nachtspat sah, überlegte ich, musste man über nichts anderes mehr nachdenken. Man brauchte keine Probleme zu lösen und sich vor keinen Gefahren in Acht zu nehmen. Alles war ganz von selber schön. Und ich verstand, weshalb der Stein so wertvoll war und weshalb sie ihn abbauten in der Schwarzen Stadt. Da draußen, wo es so viel Hässliches und Böses gab, musste man ein Auge zukneifen und mit dem anderen durch Nachtspat sehen. Sonst hielt man es wohl nicht aus.
    »Lasse!«, flüsterte Joern auf einmal. »Lasse, hör doch! Da ist etwas.«
    Ich nahm den Ring herunter und lauschte. Auch Flop war aufgewacht und saß mit steil aufgerichteten Ohren da. Wirklich, nicht weit von uns raschelte es im Dickicht. Und ich dachte, dass ich eine Weile genug davon hatte, dauernd dem Rascheln des Dickichts zuzuhören und Angst davor zu haben, wen oder was es diesmal ausspucken würde. Auf jeden Fall war es etwas ziemlich Großes.
    »Wenn es der Kjerk ist«, flüsterte ich, »kann er uns heute nichts tun. Jemand passt auf uns auf, und zwar mit erstaunlicher Gründlichkeit.«
    »Vielleicht ist es genau dieser Aufpasser«, meinte Joern. »Vielleicht kriegen wir ihn jetzt endlich zu sehen.«
    Wir standen auf und starrten in den Wald und mir wurde bewusst, dass wir noch immer nackt waren. Aber vielleicht gab es keine bessere Art, dem Weißen Ritter zu begegnen: nackt wie die Wahrheit. Wir hatten nichts vor ihm zu verbergen. Wir brauchten seine Hilfe und womöglich brauchteer unsere. Nur den Ring, den steckte ich ganz schnell in die Tasche meiner Hose, die noch immer neben dem Feuer hing. Ich wusste nicht, warum.
    Das Rascheln war nun ganz nahe und dann traten zwei Pferde aus dem Gebüsch: ein kastanienfarbenes und ein braunes. Sie schüttelten ihre Mähnen und schnaubten zur Begrüßung. Es waren Ostwind und Westwind. Und auf Ostwind saß natürlich Almut. Meinen Westwind hatte sie am Zügel mitgeführt. Sie sah zu uns herunter und ein unverschämtes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
    »Hier also steckt ihr«, sagte sie. »Splitternackig an einem Lagerfeuer, ohne Schuhe und mit Flussschlamm in den Haaren. Ich

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