Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
stärker als wir. Sie zog und zerrte an unserem winzigen Boot; wir waren für den Fluss nicht mehr als ein bedeutungsloses Stück Holz. Dann stießenwir gegen den ersten Felsen. Ich ließ mein Paddel los und hielt mich krampfhaft mit beiden Händen an der Reling fest und Joern tat das Gleiche. Es war sinnlos geworden zu paddeln. Leider war es auch sinnlos, sich festzuhalten. Der Fluss warf uns zwischen den Felsen hin und her wie einen Ball, er spuckte uns weiße Gischt ins Gesicht, füllte das Boot mit seinem kalten Wasser und durchnässte unsere Kleider in Sekunden. Der Wald schoss nur so an uns vorbei, die Bäume schienen zu schwanken und sich kopfüber in den Fluss stürzen zu wollen. Wir mussten Flop längst überholt haben, mussten meilenweit an ihm vorbeigetrieben sein …
    »Joern!«, schrie ich gegen das Rauschen und Tosen um uns an. »Da unten kommt ein Wasserfall! Wir müssen …«
    Ich bekam einen Schwall Wasser in den Mund und gleichzeitig sah ich vor uns den größten, gemeinsten und spitzesten Felsen, den ich mir vorstellen konnte. Er ragte aus der Mitte des Flusses auf und wir sausten genau darauf zu. Ich machte den lächerlichen Versuch, das Boot mit meinem Gewicht zur Seite zu lenken wie einen Schlitten, aber da prallten wir schon auf den Felsen. Das Krachen von splitterndem Holz erfüllte die Luft. Gleich darauf fand ich mich unter Wasser wieder, fühlte, wie die Strudel mich tiefer und tiefer sogen, und kämpfte mit all meiner Kraft dagegen an.
    Schließlich kam ich hoch, schnappte nach Luft, entdeckte Joerns Kopf neben mir auf den Wellen und wurde sofortwieder hinuntergedrückt. Ich öffnete die Augen und plötzlich sah ich in all dem Durcheinander auf dem Grund des Flusses etwas glitzern, unter dem Wilden Wasser, nur ein kleines Stück flussabwärts vor mir. Der Bogen!, dachte ich. Der Bogen meiner Mutter! Es musste eines seiner silbernen Enden sein! Ich durfte ihn nicht verlieren.
    Ich schwamm nach unten statt nach oben, streckte eine Hand aus und griff nach dem hell glänzenden Ende. Und tatsächlich gelang es mir, es trotz der reißenden Strömung zu fassen zu bekommen. Ich zog und zerrte mit aller Kraft, bis es sich schließlich löste. Der Fluss erlaubte mir ein zweites Mal aufzutauchen. Diesmal sah ich nicht nur Joern. Ich sah noch etwas anderes: den Wasserfall.
    Er war ganz nah.
    Es gab keine Möglichkeit, noch rechtzeitig das sichere Ufer zu erreichen. In all dem Durcheinander aus Gischt und Wellen und Angst fiel mir »Ronja Räubertochter« ein und wie Flint mir das Buch vorgelesen hatte, vor langer Zeit. Wie hatten sie es in dem Buch nur geschafft, gegen die Strömung anzuschwimmen? Joern drehte sich zu mir um. Seine Augen suchten für einen Moment die meinen. Tu etwas!, baten diese Augen. Dies ist deine Welt, deine Märchenwelt – tu etwas, damit wir nicht diesen wilden Wasserfall hinuntergerissen werden. Damit wir nicht unten zerbrechen wie zwei Porzellanpuppen. Halt den Fluss an! Hol deinen Vater her! Lass den Wasserfall verschwinden!
    Doch ich konnte nichts tun. Ich schloss die Augen undwünschte mit aller Kraft, etwas würde geschehen, irgendetwas, das uns rettete. Und da geschah etwas.
    Ich spürte, wie ich gegen eine unsichtbare Wand gedrückt wurde. Eine nachgiebige, elastische Wand, die mitten durch den Fluss verlief und uns direkt vor dem Wasserfall auffing. Ich machte die Augen wieder auf, tastete verwirrt um mich und begriff endlich: Es war ein Netz. Ein weitmaschiges Netz, quer durchs Wasser gespannt. Ich begann mich mit der freien Hand daran entlangzuhangeln. Mit der anderen umklammerte ich immer noch den Bogen. Joern folgte mir.
    »Lasse!«, rief er. »Was hast du da?«
    »Den Bogen!«, rief ich zurück. Der Wasserfall brüllte gegen meine Worte an und ich bemühte mich, lauter zu schreien. »Siehst du das nicht?«
    »Nein!«, schrie Joern. »Den Bogen hast du auf dem Rücken!«
    Und da merkte ich, dass er recht hatte. Ich Idiot. Der Bogen hing um meine Schulter wie stets und in der Hand hielt ich einen gewöhnlichen Ast, die Rinde schwarz und halb zersetzt vom Wasser. Am Ende dieses Astes jedoch hing etwas Glänzendes.
    »Ein Ring!«, rief ich. »Es ist ein Ring!«
    Ich pflückte ihn von der Spitze des Astes, wo er sich vielleicht ganz von allein verfangen hatte, und steckte ihn auf meinen Daumen, denn er war viel, viel zu groß für meinen Ringfinger. Dann hangelten wir uns an dem Netz entlang bis zum Ufer. Wir kletterten an den Zweigen eines Buschesaus dem Fluss,

Weitere Kostenlose Bücher