Jenseits der Finsterbach-Brücke
natürlich sofort wissen, was er mit den Felsen meinte. Joern erzählte es ihr und ich ärgerte mich, denn Joern war mein Freund und es ging Almut gar nichts an, was für Abenteuer wir erlebten.
»Hm«, sagte sie nachdenklich und schälte eine Kartoffel, »ein weißes Band? Ein Netz im Fluss? Hm … hm.«
Es dämmerte schon zwischen den Bäumen und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Bestimmt tat sie bloß so schlau.
»Ich wette«, sagte ich, »du hast keine Ahnung, was du meinst mit deinem Hm-hm. Oder kannst du mir erklären, wie alles zusammenhängt?«
»Nein«, sagte Almut. »Aber es ist doch komisch, dass Flop so plötzlich hier aufgetaucht ist. Ihr seid ordentlich den Fluss entlanggesaust mit eurem Boot, oder? Ziemlichschnell und ziemlich weit. Könnte es nicht sein, dass jemand Flop gefunden und hergebracht hat?«
Als sie das sagte, trat jemand aus dem Wald in den Kreis des Feuers. Wie ein Schauspieler, der auf seinen Einsatz gewartet hat. Es hatte nicht im Gebüsch geraschelt, der Fremde hatte sich lautlos genähert. Er war groß, so groß wie Flint, und er trug eine schimmernd weiße Rüstung mit einem breiten Gürtel, in dem ein Schwert steckte. Seine Augen konnten wir hinter dem Visier nicht erkennen, es waren nur zwei schwarze Schatten dort. Doch ich spürte, wie er uns musterte, einen nach dem anderen. Wir saßen da wie die Salzsäulen, stumm und erschrocken. Nur Flop wedelte begeistert mit dem Schwanz und kläffte einmal ganz kurz.
Da sah der Fremde auch ihn an und legte den Finger an den Mund.
»Sie sind der Weiße Ritter«, flüsterte ich schließlich und dann sprach ich die Worte des Briefes, die sich so tief in meinem Kopf eingegraben hatten, dass ich sie nie mehr vergessen würde.
»Der durch die Wälder zieht, bei Tag und bei Nacht. Der kommt, wenn keiner ihn sieht, und geht, wohin niemand ihm folgen kann. Der um einen Tropfen Blut bitten wird: Blut vom Herrn des Waldes, in dem er jagt. Nur so kann er den Wald befreien.«
»Der nicht bleibt und nicht zurückkehrt«, sagte Joern. »Der nicht fragt und nicht antwortet, nicht liebt und nicht hasst.«
Der Weiße Ritter neigte den Kopf. Nein, er fragte nicht und antwortete nicht. Er verneigte sich nur und streckte die Hand aus, und zwischen den Fingern seines weißen Lederhandschuhs hielt er einen zweiten Brief.
Die Einsamkeit des Weißen Ritters
W ir sahen uns an und Joern nickte mir kaum merklich zu. Da streckte ich ebenfalls die Hand aus, um den Brief des Weißen Ritters entgegenzunehmen.
Meine Hände schwitzten, als ich ihn öffnete, und gleichzeitig war es, als müssten meine Finger zittern vor Kälte. In dem blütenweißen Umschlag war wieder nur ein einziges blütenweißes Stück Papier. Diesmal war es handbeschrieben, in einer schnörkeligen, altmodischen Schrift, ganz so, wie man es von einem echten Ritter erwartet. Ich dachte, der Weiße Ritter würde nun verschwinden, doch er blieb an unserem Feuer stehen, die Hände in den weißen Handschuhen hinter dem Rücken gefaltet, und schien zu warten.
»Lies ihn laut!«, flüsterte Almut.
Also las ich laut: »Einen Tropfen Blut vom Herrscher des Waldes, um mehr bittet der Weiße Ritter nicht. Aber den Herrscher des Waldes vermag er nicht zu bitten. Der Herrscher des Waldes ist erwachsen und kein Erwachsener glaubt an den Weißen Ritter. Man wird ihn auslachen und ihn fortjagen und kein Blutstropfen wird an der Spitze seines Schwertes glänzen und kein toter Kjerk wird im Morgengrauen auf einer Lichtung liegen. So muss der Weiße Ritter sich dem Herrscher des Waldes heimlich nähern, ungesehen und ungehört. Er wird den Hof des Herrschers nie betreten und doch wird er da sein. Er wird die Haustür nie öffnen und doch wird er eintreten. Der Herrscher des Waldes wird nicht wissen, dass er da gewesen und wieder fortgegangen ist. Er wird ihm die Hand auf die Schulter legen und der Herrscher wird in einen tiefen Schlaf versinken, gerade lang genug. Nur ein winziger Ritz auf seinem linken Handrücken wird davon zeugen, dass der Weiße Ritter da war. Und im Morgengrauen wird ein toter Kjerk auf einer Lichtung liegen und nie mehr wird anderes Blut fließen in diesem schönen Wald. Den Fremden mit dem Schwert wird keiner je wiedersehen. So ist es die Art des Weißen Ritters.«
Damit war ich am Ende der Seite angelangt und sah auf.
»Können Sie nicht mein Blut nehmen?«, fragte ich zaghaft. »Der Herr im Norderwald ist mein Vater und eines Tages werde ich selbst der Herr sein im
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