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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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dem er an einem alten Fahrradständer festgebunden war. Da legte Joern von hinten seine Hand auf meine Schulter.
    »Lasse«, sagte Joern. »Ich habe nachgedacht. Wir nehmen ihn doch nicht mit. Noch nicht. Nordwind ist unsere einzige Verbindung zum Weißen Ritter. Vielleicht erkennt er ihn wieder. Flop bellt bei jedem, den er kennt, ob es nun ein Weißer Ritter ist oder nicht. Nordwind ist womöglich schlauer.«
    »Ja«, sagte ich erleichtert. »Dann behalten wir ihn noch ein Weilchen.«
    Ich bezweifelte, dass Nordwind uns helfen konnte, den Weißen Ritter zu finden. Aber ich war froh, dass ich ihn noch eine Zeit lang bei mir haben durfte. Es war, als hätte man ein Stück Vergangenheit im Hinterhof. Ein Stück vom Schönen zwischen all dem Hässlichen.
    Auch der neue Friedhof der Schwarzen Stadt war hässlich. Ich hätte nicht dort liegen wollen als Toter, obwohl es einem dann wohl egal ist. Einige nasse Krähen saßen auf den Grabsteinen und selbst die Büsche schienen schwarz zu sein statt grün. Eine riesige Menschenmenge hatte sich am Eingangstor unter dunklen Regenschirmen versammelt. Alle Arbeiter, die gerade keine Schicht hatten, schienen gekommen zu sein.
    »Ja, jetzt vermissen sie ihn, den Großen«, sagte Damian. »Jetzt, wo sie wissen, dass er immer noch besser war als die Pöhlkes, die alle entlassen.«
    Wir teilten uns zu dritt einen Schirm: Joern und Mama und ich.
    Schließlich öffnete sich die Menschenmenge zu einer Gasse und ich dachte, nun würden sie den Sarg vorbeitragen. Aber es war eine Urne. Ein Mann in einem dunklen Anzug und mit weißen Handschuhen trug sie und eigentlich sah sie auch aus wie eine Vase. Wie Frentjes Vase, in der sie uns so oft Blumen in die Gutshausküche gebracht hatte. Vielleicht hatte Frentje extra eine Urne ausgesucht, die dieser Vase ähnelte. Wie merkwürdig, dachte ich, dass Flint jetzt in eine Vase passte. Dass es nichtsmehr von ihm gab als Asche. Ich würde ihn nie, nie wiedersehen.
    Hinter dem Mann mit der Urne gingen ein paar gut angezogene Herren, die wohl zur Leitung der Fabrik gehörten, und die beiden Pöhlkes. Ich wollte mich auf den alten Pöhlke stürzen, ihm meine Fäuste in sein dickes rotes Gesicht rammen, ihm die Augen auskratzen, laut schreien, was ich wusste. Doch ehe ich überhaupt irgendetwas tun konnte, merkte ich, dass Joern mich festhielt.
    Und so wartete ich, bis die Pöhlkes vorübergegangen waren. Hinter ihnen kam noch jemand. Zuerst erkannte ich ihn nicht, weil er einen weiten schwarzen Mantel trug. Es war Johann. Und sein Kopf war nicht gesenkt wie der der übrigen Männer in der Trauerprozession. Er blickte aufmerksam in die Menge. Joern hatte mich losgelassen und ich versteckte mich hinter Damians breitem Rücken.
    Johann ging vorüber, ohne mich zu sehen.
    »Warum hast du das getan?«, flüsterte Joern, als wir zusammen mit den anderen Arbeitern der Urne folgten. »Warum hast du dich vor Johann versteckt?«
    »Hast du schon mal darüber nachgedacht«, flüsterte ich zurück, »dass er es sein könnte?«
    »Der Weiße Ritter?« Joern schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Er ist ihm damals gefolgt, zusammen mit Flint.«
    »Und was ist«, fragte ich, »wenn es mehrere Weiße Ritter gibt? Und wenn einer von ihnen mich jetzt sucht, um mich auch noch zu beseitigen?«
    Wir blieben auf dem Friedhof, bis alle Reden gehalten und alle Kränze niedergelegt waren. Ich sah nicht, wie sie die Urne in die Erde hinabließen. Wir standen zu weit hinten. Holm kam vorbei und nickte nur. Man sah, wie er sich noch immer schämte, wegen Onnar und weil er sich so sehr in Pöhlke getäuscht hatte. Schließlich verließen die letzten Schirme den Friedhof und auch die vier D gingen.
    »Komm«, sagte Joern.
    »Komm«, sagte Mama.
    »Nein«, sagte ich. »Ich kann noch nicht. Ich muss noch ein bisschen hierbleiben. Geht ihr nur.«
    Da gingen sie und ließen mich allein und ich trat direkt ans Grab. Es hatte aufgehört zu regnen.
    »Flint«, sagte ich und räusperte mich. »Hallo.« Danach fiel mir nichts mehr ein. Ich stand einfach da und starrte auf die Stelle, wo sie die Urne vergraben hatten. Nach einer Weile setzte ich mich auf einen Grabstein nebenan, was sicher verboten war. Ich sah mich um, denn irgendwie kam ich mir beobachtet vor. Aber es war niemand da. Nur die Krähen flogen krächzend zwischen den Bäumen hin und her. Vielleicht war Flint jetzt eine Krähe. Vielleicht war er es, der mich beobachtete. Natürlich glaubte ich nicht wirklich

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