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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Joern und nahm die Zügel. »Ich warte mit Flop und Nordwind hier draußen. Denn wenn ich zuhören muss, wie du Pöhlke um etwas bittest, Mama, springe ich ihm an die Gurgel.«
    Mama und ich gingen durch eine automatische Drehtür und dahinter einen Korridor entlang. In der Ferne röhrten große Maschinen wie wilde Tiere. Der Korridor selbst war leer und still.
    »Es sieht genau aus wie im Gefängnis«, sagte ich.
    Mama nickte. »Hier!«, flüsterte sie. »Hinter dieser Tür sitzt Pöhlkes Sekretärin. Dort kann man sich anmelden, wenn man mit ihm sprechen will. Meistens muss man lange warten …«
    Ich legte den Finger an die Lippen. Hinter der Tür war eine leise Männerstimme zu hören. Dort saß nicht Pöhlkes Sekretärin. Es war Pöhlke selbst. Er schien zu telefonieren. Wir sahen uns an und dann legten wir beide gleichzeitig je ein Ohr an die Tür, um zu lauschen. Ich weiß nicht, ob wir ahnten, was wir hören würden. Wahrscheinlich nicht.
    »…eiß nicht, was du willst«, sagte Pöhlke. »Du hast dein Geld bekommen. Du hast deinen Job behalten … was kümmern dich die anderen Arbeiter? Wie? Unsinn. Dem kann keiner helfen. Was? Das hätte ich dir sagen sollen?« Er lachte. »Das Gerücht gehörte nicht mal zum Plan. Keiner konnte ahnen, dass Onnar es uns so leicht machen würde. Nein. Hör zu. Wir werden nie mehr miteinander über diese Sache sprechen. Sie ist nie geschehen. Du hast nie einen Auftrag bekommen, du hattest nie Zugang zur Theatergarderobe, du warst niemals jemand anders. Und wenn herauskommt, dass du der Schütze gewesen bist, habe ich nichts damit zu tun. Hoff nicht darauf, dass ich deinen Kopf aus der Schlinge ziehe, wenn du dumm genug bist, die Wahrheit herumzuposaunen.«
    Der Hörer fiel mit einem Klicken auf die Gabel und Schritte begannen im Raum auf und ab zu gehen, nervös. Mama zog mich mit sich fort, zurück, den Korridor entlang.
    Als wir durch die automatische Drehtür ins Freie traten, atmeten wir beide tief durch.
    »Was hat er gesagt?«, fragte Joern.
    »Viel«, antwortete Mama.
    »Zu viel«, sagte ich. »Aber wir werden es niemals beweisen können.«
    »Und wir wissen nicht«, sagte Mama, »wer am anderen Ende der Leitung war.«
    Eine Weile dachte ich, wir könnten es doch beweisen. Musste es nicht jedem einleuchten? Pöhlke hatte jemanden dafür bezahlt, dass er den Großen umbrachte. Er hatte gewusst, dass sein dummer, gehorsamer Sohn zurzeit als tüchtigster Arbeiter galt. Er hatte gewusst, dass er deshalb das Bergwerk erben würde. Es war so logisch, dass ich mich fragte, weshalb wir nicht gleich darauf gekommen waren.
    Ich grübelte den ganzen Abend und Joern grübelte mit mir. Noch lange, nachdem alle anderen zu Bett gegangen waren, saßen wir am Küchentisch und verwarfen einen Plan nach dem anderen. Konnte man Pöhlke keine Falle stellen? Oder dem Weißen Ritter?
    Aber es war viel, viel einfacher, den Spuren eines Kjerks zu folgen. Es war viel einfacher, einen Pfeil durch das Auge der Tontaube auf dem Taubenschlag vom Norderhof zu schießen. Alles war einfacher, als einem wie Pöhlke etwas zu beweisen.
    Joern legte den goldenen Ring und drei blaue Federn auf den Tisch und sah mich an.
    »Das ist alles, was wir haben«, sagte er.
    »Und die Ringe«, meinte ich, »haben nicht mal etwas mit der ganzen Sache zu tun.«
    »Wer weiß«, sagte Joern.
    Armer Joern. Er glaubte immer noch, dass vor dem Tag der Verhandlung ein Wunder geschehen würde. Ein Wunder, das Onnar rettete. Doch vor der Verhandlung am Donnerstag kam der Mittwoch und ich wusste noch nicht, ob ich diesen Mittwoch überleben würde. Denn am Mittwoch um fünf Uhr war die Beerdigung von F. Hagen. Flint Windström. Dem Großen. Dem Mann, der nicht mein Vater gewesen war.
    Und der vor über zwanzig Jahren auf einer Lichtung im Norderwald eine Person beerdigt hatte, die nicht meine Mutter gewesen war.
    Aber wer dann?

Regen und Asche
    E s regnete an jenem Mittwoch. Es regnete so sehr, dass der Kohlenstaub durch die Rinnsteine floss wie Tinte. Als hätte jemand meine versiegten Tränen wieder zum Leben erweckt und einen Weg gefunden, sie vom Himmel fallen zu lassen. Ich fütterte Nordwind im Hinterhof mit Kartoffelschalen und alten Karotten.
    »Heute gehst du nach Hause«, flüsterte ich in sein Ohr. »Heute Abend wirst du wieder über die Weiden beim Norderhof laufen. Aber niemand, Nordwind, niemand wird dich reiten, auch wenn du nicht verstehst, warum.«
    Ich griff nach dem Strick, um den Knoten zu lösen, mit

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