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Jenseits der Finsterbach-Brücke

Jenseits der Finsterbach-Brücke

Titel: Jenseits der Finsterbach-Brücke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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mit viel Ziehen und Zerren nicht mehr passte. Und schließlich wäre ich alt genug, um im Bergwerk zu arbeiten, und ich würde werden wie Joerns Brüder. Ich würde den Norderhof vergessen und all meine Träume und ich würde mit der Faust auf den Tisch schlagen, wenn ich etwas nicht begriff. Vielleicht wäre ich irgendwann sogar bereit dazu, eine Pistole auf jemanden zu richten, den ich hasste.
    Am Sonntag besuchten wir Onnar, nur Joern und ich. Er sagte gar nichts. Er lächelte nur. Aber er sah schlecht aus. Die Prügelei mit Pöhlkes Leuten hatte ihre Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.
    Am Montagabend kam Holm bei uns vorbei und brachte Brot und Kaffee mit.
    »Das sollst du nicht«, sagte Mama. Ich begann sie im Geiste Mama zu nennen. Es passierte einfach.
    »Ich habe meine Arbeit noch«, sagte Holm.
    Dann setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände. »Sie entlassen jetzt viele«, sagte er düster. »Bis zum Ende der Woche werden es nur noch die Hälfte der Leute sein. Pöhlke feuert alle, die länger als zwei Tagegestreikt haben. Und er will die Fabrik schließen, um den Stein anderswo schleifen zu lassen. Im Ausland braucht er den Leuten nicht so viel zu bezahlen, sagt er.«
    »Wer sagt das?«, fragte Damian. »Der junge Pöhlke, dem jetzt das Bergwerk gehört?«
    Holm knurrte. »Der alte Pöhlke. Sein Sohn tut alles, was er entscheidet.«
    »Ach was«, sagte Dennis und grinste. »Dein Pöhlke, der dafür sorgen wollte, dass alles besser würde! Da hat er dich ganz schön über den Tisch gezogen.«
    Holm schwieg. Er sah aus, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggerissen.
    Ehe er ging, bückte er sich, um Flop zu streicheln, und fragte dabei so leise, dass nur Joern und ich es hören konnten: »Wie geht es Onnar?«
    »Warst du nicht bei ihm?«, fragte Joern genauso leise.
    Holm schüttelte den Kopf. »Es heißt, Pöhlkes Leute haben ihn wieder ins Gefängnis gebracht und ich war immer für Pöhlke. Ich könnte seinen Blick nicht ertragen.« Holm schluckte. »Ich weiß, Onnar würde lächeln und er würde mir verzeihen. Aber gerade das …« Er brach ab.
    »Onnar ist zäh«, sagte Joern. »Und außerdem können sie ihn nicht ewig einsperren. Er hat nichts getan. Die Kiste mit dem Nachtspat haben sie ihm untergejubelt. Am Donnerstag nach der Verhandlung ist er frei, mach dir keine Sorgen.«
    Holms Gesicht wurde noch ernster als zuvor. »Pöhlke verbreitet im Bergwerk jetzt ein Gerücht«, sagte er. »Es heißt,der Große wäre genau an jenem Nachmittag gestorben, an dem Onnar nicht im Gefängnis war.«
    »Das ist Unsinn!«, rief Joern. »Ist Onnar nicht mit dir zusammen weggegangen?«
    »Ich habe ihn nur ein Stück begleitet«, sagte Holm. »Er wollte allein sein, um nachzudenken. Ich meine, natürlich war er es nicht. Onnar kann keine Fliege töten. Aber es ist schlecht vor einer Verhandlung, wenn so ein Gerücht umgeht.«
    Er sah Joern lange an. »Du und ich«, sagte er, »wir wissen beide, dass Onnar am Donnerstag verlieren wird. Wenn nicht vorher etwas geschieht, das ihn rettet.«
    Ich hasste mich dafür, doch ich dachte: Es ist wahr. Niemand weiß, wo Onnar an jenem Nachmittag gewesen ist. Wir waren im Krankenhaus und die vier D und Mama zu Hause. Aber Onnar, Onnar hatte allein sein wollen. Um nachzudenken.
    Oder um etwas anderes zu tun.
    Am Dienstag geschah etwas Seltsames. Wir gingen nach der Schule mit Flop spazieren, schweigend und jeder in seine Gedanken versunken. Die Häuser wirkten alle gleich, kalt und dreckig vom Kohlenstaub. Manchmal konnte man in den Hinterhöfen Wäsche trocknen sehen, aber eigentlich konnte man sich das Waschen wohl sparen, denn die Wäsche wurde sofort wieder grau. An diesem Tag gingen wir weiter als sonst, ohne es zu merken. Da hörte ich aus einem der Hinterhöfe ein Wiehern.
    »Joern!«, sagte ich und blieb stehen. »Hör mal. Gibt es Pferde in der Schwarzen Stadt?«
    »Früher gab es Ponys in den Stollen im Berg«, antwortete Joern. »Aber das ist hundert Jahre her.«
    »Hör mal«, sagte ich. »Dieses Pferd hört sich nicht an, als wäre es hundert Jahre alt.«
    Das Pferd wieherte noch einmal und Joern schüttelte verwundert den Kopf. Ich sah an dem Haus empor, zu dem der Hof gehörte. Die Fenster waren dunkel und gardinenlos. Die beiden Eingangstüren waren vernagelt.
    »Hier wohnt niemand mehr«, sagte Joern. »Der ganze Block ist leer. Wer sollte hier ein Pferd unterstellen?«
    Ich antwortete nicht. Denn als das Pferd zum dritten

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