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Jenseits der Finsternis

Jenseits der Finsternis

Titel: Jenseits der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Nagula
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bis man die blinden, fleckigen Kunststoffschalen erkennen konnte. Das war von der Menschheit nach der Katastrophe übriggeblieben: tausend Kuppeln aus Kunststoff und darunter ein paar hundert Millionen Menschen.
    Plötzlich sagte Seltack: »Kann auch sein, daß ich nicht zurückkomme. Für den Fall lasse ich Ihnen meine Kodekarten da. Sie können meine Wohnkabine haben, Sie müssen nur meine Sachen zur Objektverwertung geben.«
    »Steht es so schlimm?« fragte Niemann.
    »Ich weiß es noch nicht«, antwortete Seltack.
    Dann erreichten sie die Schleuse. Niemann warf einen Blick zurück. Die Sonne stand tief, der Himmel war wolkenlos, samtiges, warmes Blau. Quietschend und kreischend öffnete sich das Tor der Schleuse, ein trübsinniges, graues Loch in der staubigen Kunststoffwand. Niemann konnte sich lange nicht entschließen, in das Dunkel hineinzufahren.
     
    Die Büroräume der N.O.A.H. Limited lagen in einem Neubau, einer Art Brücke, die man nachträglich zwischen zwei Hochhäusern gespannt hatte, um Platz zu gewinnen. Die meisten Räume waren fensterlos, nur einige Büros hatten eine Fensterwand. Aber das Licht, das durch die Scheiben fiel, war nichts als ein grauer Schimmer, der die künstliche Beleuchtung nicht ersetzen konnte.
    Noch vor zehn Jahren war die N.O.A.H., die Neue-Organisierte-Aufbau-Hilfe, ein winziges Unternehmen gewesen, das in allen Bereichen arbeitete, die sich anboten: Ausschlachten von Müllhalden, Versuche, Land zu entseuchen, Produktion von Nährgelatine. Dann aber war einer ihrer routinemäßigen Vorschläge an der Konferenz der Handlungsfähigen Staaten wider alles Erwarten angenommen worden: die Konstruktion der Raumstadt N.O.A.H. Ein amerikanischer Professor hatte im 20. Jahrhundert den Bau einer solchen Raumstadt im Weltraum vorgeschlagen, jetzt waren die Pläne wieder aufgetaucht, und die Konferenz hatte beschlossen, sie von der N.O.A.H. Limited verwirklichen zu lassen.
    Raumstadt N.O.A.H., gigantisches Weltraumlabor und Produktionsstätte für saubere Nahrung, Arbeitsplatz für Tausende von Menschen, 800 000 Kilometer von der Erde entfernt, 400 000 Kilometer vom Mond, ein bewohntes Riesenrad in der Einsamkeit des Raums.
    Bald entstand im Weltall eine riesige Baustelle: Aluminium und Glas, Fels und Sand wurden vom Mond zur Baustelle hinüberkatapultiert, Geräte, Maschinen und Nahrung kamen von der Erde.
    Die Pläne des amerikanischen Professors erwiesen sich als einfach und realistisch, als genial. Er hatte nur eines nicht vorausgesehen: daß über die Erde eine ökologische Katastrophe hereingebrochen war, daß es Leben auf der Erde nur noch unter Kunststoffkuppeln gab, daß die Reste der Menschheit um das nackte Leben kämpften.
     
    Scheußliches Leben, scheußliche Welt. Niemann verließ seine Schlafkabine, die er mit fremden, unbekannten Menschen teilte. Alle Räume der Stadt wurden in Schichten benutzt, und während Niemann seine Kabine verließ, kamen andere herein, um ihre acht Stunden zu schlafen. Mißmutig drängte sich Niemann durch die Menschenmenge im Treppenhaus des Schlafturms und schlug auf der Straße die Richtung zur N.O.A.H. ein. Trübes Licht fiel durch das fleckige Kuppeldach, und der beißende Geruch der Desinfektionsmittel brannte auf den Schleimhäuten. Rücksichtslos kämpfte sich Niemann voran. Die meisten Leute standen untätig da, warteten, bis in den Kinos oder Fernsehräumen ein Platz frei wurde, bis sie zur Arbeit oder in ihre Schlafkabinen konnten.
    Die Aufzüge, mit denen man früher zur N.O.A.H. hochfahren konnte, waren seit langem außer Betrieb. Absatz für Absatz mühte sich Niemann auf der engen Treppe nach oben. Die Räume der N.O.A.H. lagen keine zwanzig Meter vom Kuppeldach entfernt, und Niemann verfluchte jeden Tag die Architekten, die den freien Raum über zwei Hochhäusern für ihren Neubau entdeckt hatten. Im Gang kamen ihm die Angestellten der Firma entgegen, die in der Schicht vor der N.O.A.H. hier arbeiteten, graue, gelangweilte, langweilige Gesichter.
    Niemann fragte sich, ob er je wissen würde, wer von diesen Leuten an seinem Schreibtisch saß und auf der Ablage manchmal groteske, obszöne Zeichnungen und andere, verzweifelte Botschaften hinterließ.
    Als Niemann sein Büro erreicht hatte, teilte ihm Mi Morton, die Sekretärin, mit, Seltack sei in eine Klinik gegangen. Niemann solle ihn vertreten. Niemann ließ sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen. Das wilde Schlagen des Herzens stürzte ihn an jedem Morgen in Panik, aber langsam

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