Jenseits der Finsternis
Zustände. Kommt zu euch, schüttelt den bannstarren Kaninchenblick ab! Ich bitte euch, noch ist es …«
Ein schriller Pfeifton ließ Emmerich verstummen. Musik klang in seinen Kopfhörern auf, das anheimelnde Sugar me der Städtischen Philharmonie. Die Kontrollschirme zeigten ein neues Bild. Streicher und Bläser, die vehement den vermeintlichen Sendeausfall überbrückten. Emmerich wußte nicht, ob seine Worte gehört worden waren oder etwas bewirken würden. Er konnte es nur hoffen.
Im nächsten Moment wurde die Tür zum Regieraum aufgerissen.
»Um Himmels willen, Emmerich!« brüllte eine Stimme. »Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Nehmen Sie sofort die Finger vom Schaltpult und verschwinden Sie – aber auf der Stelle!«
Eine derbe Hand packte ihn an der Schulter und zerrte ihn aus dem Sessel. Die Kopfhörer rutschten von seinem Kopf, und fast wäre er gestürzt. Wutschnaubend drängte sich der Kollege an ihm vorbei und nahm seinen Platz hinter den Kontrollen ein.
Emmerich lehnte betäubt an der Wand. Ein nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte ihn. Habe ich es wirklich getan? dachte er. Habe ich endlich den Mut dazu aufgebracht? Er tastete sich zur offenen Tür des Regieraums und trat auf den Gang.
Langsam wich die Befriedigung, und eiskalter Schrecken begann ihn zu erfüllen. Er griff sich an die Stirn. Colette! Ich muß zu Colette! Das Ausmaß seiner Tat war gar nicht abzusehen.
Ganz von selbst fanden seine Füße den Weg zum Ausgang der Sendeanstalt. Seine Gedanken waren ein wirres Durcheinander aus Panik und Entsetzen. Die Gesichter der Menschen, die ihm begegneten, glichen schaurigen Masken. Haß stand darin geschrieben. Haß und blanker Hohn.
Er erreichte die Drehtür und taumelte auf die Straße. Er eilte über den Beton, vorbei an der Snackbar, vorbei an den sinnlosen Graffiti. Seine Schläfen hämmerten im Takt der Schritte. Er erkannte die Leuchtreklame des Ratinger Hofs und trat ein. Vierzig, fünfzig Gäste waren in dem Lokal versammelt und starrten zu einem Bildschirm an der Wand. Die Show war fortgesetzt worden, aber die Fassungslosigkeit auf ihren Gesichtern verriet genug.
Colette! dachte er.
Nervös drehte er sich im Kreis, schob sich an Tischen und Stühlen vorbei, suchte nach dem vertrauten Anblick seiner Frau.
Wo bist du? Hilf mir!
Sie saß in einer Nische des Raums und starrte ihn aus großen Augen an. Ein Mann hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt, als wollte er sie trösten. Es war Harald.
»Mein Gott!« schrie Emmerich. »Nein!«
Er fuhr herum und sah die Blicke der Gäste auf sich gerichtet. Schwarzer Nebel wallte vor ihm auf. Er verließ das Lokal, stützte sich draußen an einer Mauer und schüttelte immer wieder den Kopf. Er hätte sein Leben gegeben, um aus diesem Alptraum erwachen zu können.
Er wankte über den Asphalt der Straße, rempelte vorübergehende Passanten. Neonlicht flirrte über sein Gesicht, hob hart die Konturen hervor. Strähnen schweißnassen Haares hingen ihm in die Stirn. Die zu Fäusten geballten Hände lockerten sich und strichen fahrig über die Außentaschen seines Jacketts.
Nach wenigen Metern verstellten ihm vier schwarzgekleidete Männer den Weg.
Emmerich blickte auf. Sie trugen verspiegelte Brillen, die den grausamen Zug um ihre europäischen Münder noch verstärkten. Mit wiegenden Schlagstöcken kamen sie näher. Einer fuhr mit dem Daumen über die Schneide des Messers, ein anderer zog eine chemische Keule aus dem Gürtel seines nachtschwarzen Ledermantels.
Schweigend stießen sie ihn in den nächsten Hauseingang.
Harald sprang auf, als er den Freund erblickte. Polternd stürzte der Stuhl um. Klaus reagierte nicht auf seine lauten Rufe, sondern verließ fluchtartig das Lokal. Beschämt, drängte sich Harald durch die Menschenmenge, ignorierte die empörten Bemerkungen, die von allen Seiten auf ihn einbrandeten. Er erreichte den Ausgang und lief auf die Straße.
»Klaus?« rief er. »Klaus!«
Dumpfe Schläge erregten seine Aufmerksamkeit. Unwillkürlich schritt er auf die Geräuschquelle zu. In einem Hauseingang lag eine verkrümmte Gestalt. Männer in schwarzer Kleidung beugten sich über sie. Ketten klirrten, und asiatische Kampfhölzer sausten mit gnadenloser Präzision auf sie herab. Als die Männer ihn sahen, richteten sie sich auf, traten noch einige Male nach der reglos liegenden Gestalt und blickten ihn drohend an. Harald blieb stehen.
Das Sinnbild der Zivilisation! durchfuhr es ihn.
Auf einmal
Weitere Kostenlose Bücher