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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Favel Parrett
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sicher jede Menge kleiner Fische, jede Menge Krebse.
    Wenn es nicht zu windig war, wenn die Dünung nicht so verrückt hereinkam, konnte man es hier draußen aushalten. Man konnte hier leben.
    »Woher kam sie?«, fragte Harry.
    Miles zuckte die Schultern. Er war nicht sicher. »Vielleicht aus der Stadt«, sagte er.
    »Wann war das?«
    »Irgendwann, bevor wir geboren wurden. Vor langer Zeit.«
    »Und was ist passiert? Ist sie hier geblieben? Was ist passiert?«
    Aber Miles kannte das Ende der Geschichte nicht. Er wusste nicht, welches Schicksal für diese Frau vorgesehen war.
    »Sie hat irgendwann festgestellt, dass sie genug hatte, und ging zurück in die Stadt«, sagte Miles.
    Harry sah zur Insel.
    »Wie ist sie von hier weggekommen?«, fragte er.
    Miles schüttelte langsam den Kopf. »Wahrscheinlich hat sie ein Fischerboot gesehen und hat es herangewinkt oder so.«
    Harry sah aus, als würde er darüber nachdenken. Er sah aus, als würde er die Insel nach Hinweisen absuchen.
    »Wahrscheinlich hat sie von allem genug gehabt«, sagte er.
    Und Miles wusste nicht, ob Harry damit meinte, dass sie genug gehabt hatte vom Leben vor der Insel oder vom Leben auf der Insel. In diesem Moment gab es ein lautes Geräusch von kreischendem Metall, es roch nach Rauch. Dann machte nichts mehr ein Geräusch.
    Miles stand reglos da. Hitze schoss seine Wirbelsäule hoch und brannte ihm in den Eingeweiden. Die Pumpen standen still. Der Motor war aus. Dad und Jeff bekamen keine Luft.
    Er rannte in die Kajüte, riss den Motor an. Nichts. Er versuchte es erneut, aber nicht einmal der Leerlauf funktionierte. Er hob den Boden hoch, hockte sich hin und zerrte den Metalldeckel vom Motor. Er fühlte, wie seine Haut Blasen schlug, fühlte, wie sie brannte. Das Metall war rot vor Hitze und blieb an seiner Haut kleben. Als er die Hand wegzog, war seine Handfläche roh. Er schloss die Hand zur Faust, biss sich auf die Zunge. Es mussten mittlerweile schon mindestens sechzig Sekunden sein, in denen die Sauerstoffpumpe stillstand.
    Er richtete sich wieder auf und unternahm einen weiteren Versuch, den Motor zu starten. Nichts.
    Er rannte hinaus an Deck zum Notfallgenerator für die Sauerstoffpumpe. Auch der sprang nicht an. Der Benzintank war leer. Miles sah hinüber zu Harry. Er stand noch immer genau dort, wo er gestanden hatte, starrte ins Leere, die Arme fest am Körper. Es gab nichts, was Miles noch tun konnte. Nichts.
    Er stellte sich neben Harry und sah über die Reling – suchte das an- und abschwellende Wasser nach Luftblasen ab. Kalter Schweiß rann ihm den Rücken herunter, und er dachte, er sollte vielleicht einfach wegrennen. Vom Boot verschwinden und zur Insel schwimmen, denn wenn Dad und Jeff es schafften, hier lebend wieder aufzutauchen, war das sein Tod. Aber er wusste, er würde es nie schaffen, nicht mit Harry. Die Strömung war zu stark. Wenn das Boot nicht am Anker hinge, würde es mitgerissen, als wäre es ein Stück Holz auf dem Fluss. Es würde an den Klippen zerschellen. So, wie sie zerschellen würden, wenn sie über die Reling sprangen.
    »Miles? Miles?«
    Harry zog ihn am Arm, als Miles über die Reling kotzte.
    »Da ist Dad«, sagte er.

» I rgendwie gelang es Miles, sich zu rühren, Dad dabei zu helfen, Jeff an Deck zu ziehen, dem Blut aus Nase und Ohren lief. Jeffs Augen waren offen, aber nur das Weiß war zu sehen.
    Vielleicht starb er, dachte Miles. Vielleicht strömte das Blut bis auf den letzten Tropfen aus ihm heraus, bis nichts mehr übrig war.
    Dad sackte neben Jeff auf dem Deck zusammen. Er blieb reglos liegen und sah zum Himmel. In kurzen Zügen atmete er ein und aus. Eines seiner Augen schien aus der Höhle zu quellen. Das Auge war hellrot und voller Blut, und Miles konnte nicht aufhören, es anzusehen.
    »Was hast du gemacht?«, sagte Dad.
    Er versuchte sich aufzusetzen, und Miles machte einen Schritt zurück. Er spürte Harry dicht hinter sich. Spürte Harrys Hand an seinem Arm.
    »Er ist einfach ausgegangen«, sagte er. »Der Motor – er ist einfach ausgegangen.«
    Dad starrte ihn an, er sagte, er solle den Sauerstoff holen, und Miles rannte zur Kajüte, aber dort gab es keinen Sauerstoff. Der Tank war beim Kampf mit dem Makohai verlorengegangen; die Erste-Hilfe-Tasche auch. Er blieb an der Kajütentür stehen.
    Dad hatte sich mühsam erhoben. Er stand unsicher auf dem schwankenden Boot. Die Dünung war stärker geworden, sie war vielleicht ein paar Meter gestiegen, und Miles konnte die Wellen sehen, die

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