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Jenseits der Untiefen

Jenseits der Untiefen

Titel: Jenseits der Untiefen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Favel Parrett
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völlig still.
    Mr Roberts stand unter einer der Lampen am Kai. Es sah aus, als würde er Miles direkt ansehen, und Miles wollte ihm zuwinken, aber er konnte nicht. Dad war neben ihm. Jeff tauchte aus dem Dunkel auf.
    »Ist heftig heute«, sagte er, vielleicht zu Dad, aber Dad reagierte nicht.
    Miles half Harry ins Dinghy und hielt ihn auf dem Weg zum Boot fest. Es war stürmisch. Nachdem sie die Spitze passiert hatten, geriet das Boot ordentlich ins Schwanken. Unsichtbar kam die Dünung herein. Und der Wind wurde stärker, er kam von Süden, brachte Eis mit.
    Sie befanden sich in einer Blase aus Neonlicht, die hinaus ins Dunkel glitt. Miles hielt Harry an den Schultern und bedeutete ihm, sich draußen hinzusetzen, obwohl die Gischt heftig aufs Deck schlug. Er setzte sich neben ihn, sagte ihm, er solle sich am Mast festhalten und auf den Horizont sehen, sobald es hell wurde.
    »Ich mach dir einen Tee, wenn wir vor Anker gehen, okay?«, sagte er.
    Das Neonlicht, das der Bootsboden reflektierte, ließ Harrys Gesicht in gespenstischem Blau leuchten. Er nickte. Jeff hatte die beiden offenbar gehört, denn er sagte zu Harry, wenn ihm schlecht würde, müssten sie ihn an der Außenseite der Reling festbinden. Er sagte, Harry solle sich bloß gut festhalten, sonst würde er vom Boot fallen, und sie würden ihn niemals finden.
    Miles drückte Harrys Arm und ermunterte ihn, die Sterne anzuschauen, um sich abzulenken. Hier draußen, weitab vom Land, regnete es nicht, und es gab keine Wolken. Der Mond schien, eine schmale Sichel und ein paar der helleren Sterne leuchteten noch. Aber sie wurden bereits durchsichtig, und bald würden sie ganz verschwinden. Es wurde langsam hell.
    Und wenn das Orange der Sonne erst einmal aufgeplatzt war, stieg sie schnell höher.
    Die Sonne veränderte alles.
    Als Miles zum Horizont sah, erkannte er in der Ferne drei Gebilde. Die Last Islands.
    Schwarz umrissen, schwarz geformt.
    Black Witch, Flat Witch, Temple Rocks.
    Felsen, die einsam mitten im Nichts standen, mitten im endlosen Ozean. Miles war noch nie so weit draußen gewesen. Jenseits der Felsen, was sollte da noch sein? Auf der Karte gab es nur ein paar schwarze, dicht zusammengedrängte Flecken, Orte, an denen nie jemand gelebt hatte und wo niemand je hinkam.
    Maatsuyker war die letzte Insel, die sich aus dem Dunkel schälte.
    Das Ende der Welt.
    Hier draußen konnten die Wellen eine Höhe von zehn Metern und mehr erreichen, und die Inseln waren gezeichnet und voller Narben. Zerfurchte Klippen, zerklüftete Felsstrände, Höhlen, die das Meer in den Fels gewaschen hatte. Es war eine andere Welt, tosendes, stürmisches Leben. Klippen, von denen Vögel schrien, Sturmtaucher und Silberkopfmöwen, Austernfischer und Sturmschwalben. Jedes flache Stück Fels war mit Kraut- und Grasfetzen überzogen. Das Wasser war in heftiger Bewegung, es hatte tiefe Kanäle zwischen die Inseln gegraben. Stille Strömungen.
    Dad verankerte das Boot so weit wie möglich außerhalb des Windes, auf der ruhigeren Seite von Flat Witch. Es war die kleinste Insel, die flachste. Im Vergleich mit den anderen war sie nur ein Baby. Die Sauerstoffpumpe lief, das Boot war so ruhig, wie es in diesem Wasser möglich war, und Dad und Jeff zogen die Taucheranzüge an.
    Sie ließen sich hinunter.
    Miles machte Harry eine Tasse Tee und sagte ihm, er könne sich jetzt in die Kajüte setzen, wenn er aus dem Wind herauswolle. Aber Harry wollte nicht. Er sagte, dass ihm vielleicht schlecht würde, und blieb draußen auf dem Deck, in Miles’ Nähe. Es schien ihm gutzugehen. Er war nicht grün im Gesicht, und er sah zur Flat Witch hinaus.
    »Dort soll diese Frau gelebt haben«, sagte Miles.
    Harry sah zu ihm auf. »Was für eine Frau?«
    »Du weißt schon, die, die abgehauen ist, weil sie keinen Bock mehr hatte auf die Menschen. Hat hier draußen gelebt.«
    Harry schüttelte den Kopf. Offenbar hatte er die Geschichte noch nie gehört.
    Und es war nur eine Geschichte. Die Frau. Die den ganzen Weg hierher per Anhalter gekommen war mit ein paar Säcken voller Reis und einem Zelt. Die hier blieb. Die hier ganz allein lebte. Jeder wusste, dass es nur eine Geschichte war. Aber als Miles sich jetzt die geschützte Seite von Flat Witch näher ansah, vermutete er, dass es möglich war, dass man hier existieren konnte, weil es hier draußen Leben gab. Die Oberfläche jedes Felsens, der auf Wasserhöhe lag, war rappelvoll mit Muscheln und bestimmt auch mit wilden Austern. Und im Seetang gab es

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