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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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wenig südlich von der Residenz. Sie trugen riesige Kiepen auf dem Rücken, voller getrockneter Kräuter und örtlicher Gewürze. Ian McMullen hatte zwei Sorten Tee gekauft, einen, der einem im Falle einer Erkältung helfen sollte, und einen, der für die Nerven gut war. Außerdem hatte er noch ein kleines Döschen frischen Meerrettich erstanden.
    „Es geht nichts über frischen Meerrettich!“, hatte die Frau in dem bunten Bauernkleid gesagt. „Macht den Kopf frei, befreit die Nase und lässt die Seele senkrecht stehen.“ Sie zwinkerte ihm dabei zu, eine wissende Anspielung aus einem runzligen Gesicht.
    Den Kopf freizubekommen war genau richtig. Ob er mit der Befreiung seiner Nase oder der Lotrechtstellung seiner Seele ebenso einverstanden wäre, da war er sich nicht so sicher. Zu Hause angekommen hatte er das kleine Döschen geöffnet und einen Teelöffel voll der beigefarbenen Creme zu sich genommen. Daraufhin war ihm schier der Deckel vom Kopf geflogen. In Schottland wurde Meerrettich nur spärlich verwandt, und wenn, dann verdünnt in einer sanften Soße. Er hatte nicht gewusst, wie das Zeug frisch gerieben und unverdünnt schmeckte und was es auslöste.
    Nachdem er einige Sekunden wild herumgesprungen war und ihn die Angst beschlich, ihm könne tatsächlich die Nase vor lauter Befreiung abfallen, japste er nach Luft und wischte sich die Tränen ab. „Kräuterweiberl“ nannte man die Frauen im örtlichen Dialekt. Er war sich ganz sicher, dass viele von ihnen in weniger großmütigen Epochen auf dem Scheiterhaufen gelandet waren.
    Seltsamerweise fühlte er sich tatsächlich erfrischt und saß alsbald auf einem der alten Stühle und ließ sich eine Tasse Kräutertee schmecken. Er konnte beileibe nicht mit dem hochgezüchteten Aufgussgetränk seiner britischen Heimat konkurrieren, doch schlecht war er nicht.
    Weiteren Nachforschungen in der Loge war Ian entkommen und hatte seinen Anteil an Forschungsarbeit geleistet, so leise und unauffällig wie möglich. Bis jetzt hatte er noch keinen einzigen Hinweis im Archiv gefunden, der als Erklärung für die derzeitige Situation dienen mochte, und sonst hatte das ebenfalls keiner. Auch konnte man nicht wirklich behaupten, dass die Stimmung aggressiv wurde. Nach der letzten etwas hitzigen allgemeinen Debatte hatten sich die Herren wieder an ihre Bücher gesetzt, und in den heiligen Hallen von Aroria herrschte eiserne Kontrolle. Jeder war höflich und konzentriert. Kleine Streitereien hatten aufgehört. Selbst jene Meister und Adepten, die normalerweise nicht über einen einzigen Aspekt des Universums einer Meinung sein konnten, diskutierten die derzeitigen Erkenntnisse mit maßvollem Eifer und entschlossenem Benimm.
    Ian fand das alles faszinierend. Wenn man einmal von dem schrecklichen Grund für die derzeitige Stimmung absah, so zeigte sich hier doch ein zivilisiertes Betragen, das weit über das hinausging, was man sonst auf der Welt antreffen mochte. Der europäische Gentleman hatte sich natürlich immer gewissen strikten Anstandsregeln zu beugen, doch das Benehmen in der Loge ging noch darüber hinaus. Hier wurden Unterschiede im Glauben, in der nationalen oder sogar der sozialen Abstammung vollkommen nivelliert. Sollten Politiker – egal in welchem Land – je so konzentriert versuchen, dem Wohle aller zu dienen, unabhängig von nationalen, religiösen oder Standesinteressen, wäre Utopia nicht mehr weit entfernt.
    Vielleicht war das ja der Grund, warum man Arkanlogen misstraute. Es waren nicht in erster Linie die magischen Kenntnisse, die Laien fürchteten – schon deshalb nicht, weil die meisten ohnehin nicht daran glaubten. Es war der zielgerichtete Geist eines hochmotivierten Netzwerks, das aktuelle politische Konstellationen als Spielfeld für eigene Ambitionen ansah und sich somit über kleinliche Streitigkeiten mit einer gewissen zielbewussten Herablassung hinwegsetzte. Nicht die ‚Feuerkraft ‘ einer Loge fürchtete man, sondern vielmehr deren willensstarken Zusammenhalt und unergründliche Zwecke.
    Dabei mischten sich Logen oder auch Meister nur selten in die Politik ein. Die Dinge wurden schnell gefährlich, wenn man das Übernatürliche in den Kampf um die Vormachtstellung mit einbrachte.
    Der Tee war gut. Er hatte immerhin einige Minuten lang nicht an die Gefahr, in der er schwebte, und an sein mögliches Ableben gedacht. Auch nicht an die grauschwarzen Hämatitaugen, die einem durchs Gewissen und durchs Gemüt fuhren. Doch es war nur eine Tasse

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