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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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als sie durch den Spalt davonstob? Frustriert und wütend hatte es geklungen. Hatte es vielleicht einen Fehler gemacht? War ein Zauberspruch missglückt? Konnten Zaubersprüche so völlig danebengehen?
    Sie wusste es nicht. Sie hatte nie an Zauberei geglaubt. Sie wusste um Menschen, die behaupten, sich mit den arkanen Künsten abzugeben, doch wie ihr Vater auch hatte sie sie nur für Salonmagier gehalten, für Trickbetrüger, Bauernfänger, platte Schwindler. Man befasste sich in ihren Kreisen nicht mit Zirkusakteuren, auch wenn sie angeblich Meister ihres Fachs waren. Es gehörte sich schlichtweg nicht.
    Die Welt existierte innerhalb der Parameter physikalischer Gesetze. Die ernstzunehmende Naturkunde kannte keine pony-großen Spinnen mit zwei Köpfen. Die Physik besagte, dass man nicht im einen Moment eine junge Dame sein konnte und im nächsten eine junge Katze. Allein die Massendifferenz musste das unmöglich machen. Sie musste ihren Vater fragen.
    Nur konnte sie das nicht. Sie war eine Katze und hatte keinen Vater, den sie fragen konnte. Ihr eigener Vater, der berühmte Herr Professor Lybratte, würde sie nicht wiedererkennen. Er mochte Katzen nicht besonders. Wenn sie sich ihm näherte, würde er sie entfernen lassen. Niemand würde wissen, dass sie ein Recht hatte, in ihrem Haus zu verweilen, wenn sie dorthin zurückging. Niemand würde ihr ein Quartier oder Essen anbieten. Niemand würde ihr helfen können.
    Sie hatte ihr Zuhause verloren. Mit plötzlicher Heftigkeit durchfuhr sie der Schrecken dieser Erkenntnis und fraß sich in ihre Seele. Sie hatte nichts und niemanden. Sie war ganz allein auf der Welt, von Monstern verfolgt und unfähig, sich in Sprache auszudrücken. Sie würde dies nicht überleben. Es gab Dinge, die jungen Mädchen zustießen, wenn sie hilflos und allein waren.
    Doch diese Dinge waren ihr nicht zugestoßen. Sie war eine Katze.
    Zunächst hatte sie bebend auf dem Kohlenhaufen in jenem Keller gestanden, in dem sie vor ihrem Verfolger Zuflucht gesucht hatte. Lange hatte sie sich nicht gerührt, nur versucht zu begreifen, wie es ihr gelungen war, durch eine faustgroße Öffnung in einem Zaun zu kriechen. Es war unmöglich. Es hatte einige Minuten gedauert, bis sie festgestellt hatte, dass sie auf allen vieren stand und nicht aufrecht. Ihre Sinne, die plötzlich um ein Vielfaches schärfer waren, lieferten ihr Informationen über ihre Umgebung, die sie schlichtweg überforderten. Sie zu analysieren hatte sie einige Zeit gekostet.
    Als sie an sich hinunterblickte, hatte sie ihre Pfötchen gesehen. Sie hatte sie bewegt. Sie gehorchten ihr. Ein Muskel, der ihr völlig neu war, ließ ihre Krallen hervorschnellen und wieder verschwinden. Vor Schreck war sie fast von dem Kohlenhaufen heruntergepurzelt.
    Als das Monster nach einer Weile nicht – wie erwartet und befürchtet – am Fenster auftauchte, hatte sie sich schließlich gerührt, ohne recht zu wissen, was sie nun tun sollte. Dem Keller entkam sie durch ein weiteres Fenster, und dann lief sie von Hinterhof zu Hinterhof, über Mauern und durch finstere Gassen, die ihr trotz der dunklen Nacht seltsam hell und gut beleuchtet vorkamen.
    Die ersten Male kam sie bei Sprüngen schlecht auf. Den Abstand zu ermessen, den sie mit einem Sprung überbrücken musste, war eine neue Herausforderung. Manchmal erreichte sie die nächste Mauer nur mit den Vorderpfoten und kämpfte sich dann ungeschickt mit den Hinterbeinen nach oben, bis ihr Körper dort war, wo er hinsollte. Dann wieder schoss sie übers Ziel hinaus und landete jenseits der Mauer, die sie zu erklimmen versucht hatte. Die Angst, die sie durchzuckte, wenn sie so sprang, war überwältigend. Doch letztlich wusste ihr Körper besser als ihr Geist, wie man auf allen vieren landete. Ihre Pfoten schafften es irgendwie immer, den Boden als erstes zu berühren. So hatte sie sich nicht ein einziges Mal wehgetan. Sie sah nur ungeschickt und dumm dabei aus, und das fand sie recht peinlich.
    Hunde rührten sich, Ratten zischten, Mäuse brachten sich in Sicherheit. Die Welt der Hinterhöfe war verwahrlost und schmuddelig, eine Welt, die ihr als Tochter eines reichen und einflussreichen Mannes bisher völlig verschlossen geblieben war. Sie hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass sie diese hässliche Seite des Lebens nicht kannte. Dass sie privilegiert war, wusste sie. Dass sich das so schnell ändern konnte, hatte sie nicht geahnt. In einer einzigen Sekunde. Als Strafe für eine einzige

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