Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
formte sich in der Realität, winzig zuerst, dann wuchs es an. Ein Spalt stak in der Welt, schien Ians Seele wie Papier einzureißen, und ihm wurde beinahe übel. Er japste nach Luft.
Reglos lag er auf den Knien, hatte die Hände gegen die Invasion ausgestreckt, obgleich er wusste, dass es nichts gab, was er dagegen tun konnte.
Ein Kopf erschien. Ein Katzenkopf. Augen voller Angst. Eine vorsichtig tastende Vorderpfote. Einen Augenblick später flog die ganze Katze durch den Spalt, als hätte jemand sie unwirsch von hinten angeschoben. Sie schrie. Ihr Fell stand ihr zu Berge und ließ sie um einiges voluminöser aussehen, als sie war. Funken flogen aus dem weichen Pelz, wo die Haare die Seiten des Spalts berührten.
Das Kätzchen fiel auf den Boden, krallte sich in den Teppich und schnickte just in dem Moment, als er sich mit einem vernehmlichen Plopp wieder schloss, den Schwanz aus dem unheimlichen Eingang. Die Energielinien verblassten.
„Catty?“, fragte er immer noch am Boden kniend verwirrt.
„Mau!“
Die Katze sprang in seine Arme und versuchte, sich zu verstecken. Er hielt sie vorsichtig. Sie bebte am ganzen Körper und vergrub den Kopf in seiner Armbeuge.
„Catty! Fräulein Lybratte!“ Das war eine blöde Art, eine Katze anzureden. Doch wahrscheinlich war sie ja keine Katze.
Ein gedämpftes Wimmern kam aus seinen Armen. Er verlagerte das Gewicht der Katze, hielt sie mit einem Arm, streichelte ihren Kopf und ihren Rücken mit der anderen Hand. Das war auch nicht gerade Benehmen nach Knigge gegenüber einer jungen Dame. Doch die Katze schien es zu mögen und schmiegte sich an ihn.
Er versuchte, nicht daran zu denken, dass er im Grunde ein Mädchen in den Armen hielt. Sie vertraute ihm, und er durfte nichts denken, das dieses Vertrauen nicht rechtfertigte. Kaum war ihm dieser Gedanke gekommen, da tauchte schon ihr Bild vor ihm auf, nackt, ängstlich. Es war noch nicht lange her, da hatte er sie in einen Mantel eingewickelt.
Er war ein Magier und Ehrenmann. Außerdem lebte er zölibatär. Jedenfalls fast. So gut wie, und immerhin war sie eine Katze.
„Keine Angst. Alles wird gut. Sie sind bei mir sicher.“
Sie wurde langsam ruhiger, und er erhob sich von den Knien und setzte sich aufs Sofa, hielt sie dabei noch fest. Nach einer Weile wand sie sich aus seinen Armen, sprang auf den Boden, lief zu Thorolfs Tür und hielt dort inne. Sie drehte sich um und blickte ihn an.
„Er ist nicht da. Er ist … er hat … es hat da ein Missverständnis gegeben.“
„Er stirbt gerade in einem Kerker“, mochte er ihr nicht sagen.
Dennoch war die kleine Katze ganz aufgeregt.
„Es tut mir leid. Ich kann es nicht ändern. Du kannst ihn jetzt nicht sehen.“ Jetzt nicht und niemals mehr, sofern Ian nicht irgendeinen Ausweg fand, und er glaubte nicht, dass er eine Lösung finden konnte ohne Graf Arpad. Der wurde ebenfalls vermisst. Natürlich gab es immer noch Sutton. Der würde jetzt in der Loge sein und nach Information darüber suchen, wie man einen Transformationsbann rückgängig machte, oder um herauszufinden, was die Bibliothek über Mädchen zu sagen hatte, die zu Katzen wurden, und umgekehrt. Vermutlich war er bereits recht ungehalten darüber, dass er das immer noch allein und ohne Ians Hilfe tat.
Ian war bewusst, dass er schon Stunden zuvor in der Loge hätte auftauchen sollen. Doch die Polizei hatte sich Zeit gelassen, während sie Thorolfs Besitztümer durchsuchte, ihn befragte und später auch noch die arme Frau Treynstern. Thorolfs Mutter war beinahe zusammengebrochen, als sie die Nachricht über ihren Sohn erfuhr, und keiner der Beamten – und Ian auch nicht – hatte genau gewusst, wie man mit der Situation umgehen sollte. Also war er losgerannt, um die Hilfe einer weiteren Frau zu rekrutieren und hatte gehofft, Fräulein Obermeier von unten wäre vielleicht verfügbar. Er traf sie auf der Treppe, bereits auf dem Weg nach oben. Offenbar hatte sie ihn gerade besuchen wollen, warum auch immer. Vielleicht hatte die Anwesenheit der Polizei sie beunruhigt. Oder sie war einfach nur neugierig. Jedenfalls war sie da, genau als man sie brauchte, hatte ein Riechfläschchen dabei und einige Taschentücher und übernahm die Angelegenheit. Sie beschützte Frau Treynstern vor den bohrendsten Fragen des Inspektors, indem sie ihn so strafend anstarrte, dass er auf einmal zu stottern anfing und sich um die schwierigsten Aspekte der Befragung herummogelte, die er eben noch gänzlich unbefangen von sich
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