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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Dunkel, fort von den Farben, die noch nicht einmal einen halben Regenbogen ergaben, weiß, grau, schwarz, rot und braun. Nicht genug, um damit irgendein bleibendes Werk zu malen.
    Gedanken sanken durch ihn hindurch, Ideen, die nicht die seinen waren, Philosophien über die Natur der Welt, den Stoff des Göttlichen, die Kreativität des menschlichen Sinns. Diese Gedanken kamen aus dem Kreis der Männer um sie herum. Starke Gefühle untermauerten Überzeugungen, die er kaum zu fassen vermochte. Nichts davon war in seinem eigenen Sinn geboren, nicht einmal die ungemalten Skizzen von Bildern, die noch darauf warteten Meisterwerke zu werden, und auch nicht die ungehörten Harmonien, die vielleicht irgendwann zu einer Symphonie geworden wären.
    Er hatte kein Gefühl mehr in den Händen und wusste nicht, ob er das Mädchen tatsächlich noch festhielt. Auch seine Beine fühlte er nicht mehr, und ahnte nicht einmal, ob er noch immer auf dem Teppich kniete, direkt vor dem riesigen Spinnentier. Nicht einmal seinen eigenen Herzschlag konnte er noch hören. War er wieder tot? War es diesmal anders, weil es wirklich war? Er sank in einen Sumpf aus Spinnenaugen, hörte ein Kichern. Einen Augenblick später verstummte es.
    Töne und Farben explodierten.
    Grün, rosa, blau, gelb und mehr. Wie Blumen wuchsen die Farbkleckse und wurden zu Formen. Er hörte ihren Sang, Frauenstimmen in seltsamen Harmonien, und er wusste, dass er nun das sah, was er einmal versprochen hatte zu malen: ein Bild von Klang. Dem Briten hatte er dieses Versprechen gegeben, der Spinne vor ihm, der hungrigen Frau in dem einsamen mitternächtlichen Tal. Sie alle waren Aspekte derselben seelenverschlingenden Identität.
    Schattierungen strömten wie Farbe von der Palette, vermischten sich und gebaren neue Färbungen. Er spürte, wie sich sein Vater vor Schmerzen wand und griff mit einem plötzlichen Gedanken nach ihm. „Halt dich an mir fest“, flüsterte sein Sinn. „Ich kann Klang malen. Für sie und für dich und für jeden, den ich liebe und respektiere.“
    Dann tat er es. Mit der Essenz seiner künstlerischen Seele fasste er das mentale Malgerät. Er nahm die kühle Landschaft, die verzweifelt über seinem Traumselbst waberte, fügte den Rhythmus zu dem liturgischen Gesang und wandelte die flackernde Harmonie in ein strukturiertes Ganzes um.
    Das Spinnental verblasste gegen den Regenbogen, der sich himmelwärts gegen ein Mysterium aus Angst und Faszination erhob. Mit allen Farben gleichzeitig schoss der Bogen hoch und krümmte sich um die Welt, um dann wieder in den exquisiten Salon einer Münchner Villa zurückzufahren und zu ankern. Die Richtung änderte sich, Ideen und Illusionen strömten nicht länger nach oben davon, sondern wieder hinunter und zurück. Die Welt verwirbelte, und eine Tür öffnete sich.
    Dann fiel diese Tür knallend ins Schloss.
    Jede sinnliche Wahrnehmung erlosch.

Kapitel 80
    Asko schrie, als sich die Frau in seinen Armen verwandelte. Sie war fordernd gewesen, und er war auf alle Forderungen eingegangen. Leidenschaft hatte ihn getrieben, weit ab von Verstand, Seele oder Gewissen. Mithilfe gestohlener Lebenskraft hatte er geliebt und Leben gezeugt.
    Mit einem Drachen hatte er sich gepaart. Das war sie. Ein Tier, ein Mythos und doch real. Unbesiegbar und unwiderstehlich. Mit dem plötzlichen Fehlen ihres nachgiebigen, verlangenden Körpers waren sein Wissen, seine Erziehung, seine Meinung mit einem Mal wieder da.
    Er hatte das Unsagbare getan. Er hatte sich mit der Bestie verlustiert, hatte seinen Samen gegeben, um einer neuen Generation von Horror Leben zu verleihen. In seiner Erinnerung setzten sich die Bilder langsam zusammen, absolute Besessenheit, die ihn zu immer neuen Höhepunkten getrieben hatte, zu mehr Ekstase, mehr Variationen derselben Beschäftigung, als er je gekannt hatte.
    Antichrist, flüsterte ihm sein religiöses Gemüt ein. Er hatte den Antichristen gezeugt.
    Der Drache wand sich auf dem Boden, zu groß für den Raum, zu groß schier für das Haus. Der Kopf allein hätte das Bett, auf dem er lag, zur Gänze ausgefüllt. Die langen, spitzen Zähne waren größer als seine Hand. Der Körper füllte den Raum von Wand zu Wand. Eine unheimliche Schönheit ging von der Kreatur aus, die so wütend und rasend vor Zorn wirkte. Fast versteinert vor Rage.
    Gleich würde er erlöschen.
    Dann begriff er, dass der Zorn nicht gegen ihn gerichtet war. Etwas hatte ihr Liebesspiel unterbrochen, hatte der scheinbar endlosen

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