Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
mehr als lächerlich. Nur dass seine eigene Mutter einem solchen Hallodri erliegen würde, konnte er sich nicht vorstellen.
Sie war ihm immer so jenseits jeder Versuchung oder jeden Fehltritts erschienen, gerade als stünde sie weit über den Oberflächlichkeiten der Welt. Wie eine Heilige war sie ihm vorgekommen, schön auf eine abgeklärte Weise, gutmütig, geduldig, aber auch nicht ohne Rückgrat oder Charakterstärke. Sie war gewiss nicht die Frau, die sich von einem Paar anthrazitgrauer Augen, einem geheimnisvollen Lächeln und einer allzu exquisiten Erscheinung blenden ließ.
Oder doch? War es das, was sie ihm am Nachmittag versucht hatte zu beichten und was er so entschieden auf später verschoben hatte? Konnte es sein, dass sie so einsam war, dass ihre Umsicht versagt hatte? Ein alter Freund – gerade so alt wie der eigene Sohn?
„Ach?“, antwortete Thorolf abweisend.
Eine perfekt gezogene schwarze Braue hob sich.
„Oh je. Ich habe kaum angefangen, und Sie haben sich schon entschlossen, mich nicht zu mögen. Wenn ich Ihnen erst alles erzählt habe, werden Sie mich noch viel weniger schätzen. Dennoch muss ich Sie ersuchen, mich anzuhören. Was ich zu sagen habe ist wichtig für Sie, und Ihre Mutter hat mich eigens darum gebeten, mit Ihnen zu sprechen. Eine Bitte Ihrer Mutter ist mir Befehl.“
„Ah.“
Was sonst sollte man dazu sagen? Thorolf wusste es nicht. Er wusste nur, dass er seine Mutter aus dieser Mesalliance befreien würde, oder was immer es war, in das sie sich verstrickt hatte. Niemand konnte bisher etwas wissen. Vielleicht konnte man einen Skandal gerade noch vermeiden. Nicht dass er jemals damit gerechnet hatte, seine Mutter aus den Fängen einer unangebrachten Beziehung erretten zu müssen, wo sie jahrelang damit beschäftigt gewesen war, diesen Dienst umgekehrt ihm selbst zu erweisen.
„Mein Junge ...“
„Ich bin keinesfalls Ihr Junge!“
„Vergeben Sie mir!“ Der Dunkelhaarige verbeugte sich. „Sie müssen begreifen, dass ich den allerhöchsten Respekt für Ihre Mutter hege. Ich liebe sie sehr – auf meine Weise.“
Thorolf fletschte die Zähne. Das ging entschieden zu weit.
„Dann begreifen Sie, dass ich das zu unterbinden wissen werde – sollte es der Wahrheit entsprechen. Es ist absurd. Jetzt bitte ich Sie, jede weitere Beleidigung meiner Mutter tunlichst zu unterlassen. Verlassen Sie meinen Tisch, sonst fühle ich mich gezwungen, Sie bei Ihrem eleganten – und vermutlich unrechtmäßig erworbenen – Rock zu nehmen und Sie auf die Straße zu befördern, wo Sie zweifelsohne hingehören.“ Thorolf hatte die Nase voll von dem ungarischen Abenteurer.
Der dunkle Mann ihm gegenüber lachte nur.
„Du lieber Himmel. Muss ich mich missverständlich ausgedrückt haben! Sie haben ganz falsche Schlüsse gezogen. Ich bin kein professioneller Witwentröster, mein Ju... werter Herr. Als ich sagte, dass ich Ihre Mutter schon ziemlich lange kenne, habe ich genau das gemeint. Seit über dreißig Jahren kenne ich sie jetzt. Ich kannte sie schon, da war sie jung und eine Schönheit, wie man kaum eine zweite fand. Sie war intelligent, immer gut aufgelegt, entzückend, liebevoll, unterhaltsam und humorvoll. Ich habe sie sehr geliebt. Aus der Entfernung tu ich das heute noch.“
„Sie sind doch kaum älter als ich ...“
„Ich sehe nur so jung aus. Ich bin sehr viel älter. Bitte hören Sie mir ...“
Doch Thorolf hatte genug gehört. Er sprang auf und griff nach dem Kragen des Mannes, um ihn vom Sitz zu ziehen. Einen Moment später setzte er sich ganz ruhig und brav wieder hin und sah zu, wie sich seine Hände auf dem Tisch ablegten, als gehörten sie nicht ihm. Er konnte sich nicht rühren, war zu keiner Bewegung fähig. Vollkommen gelähmt saß er da, völlig hilflos.
Kalte Furcht bemächtigte sich seiner. Er erkannte das Gesicht vor ihm. Er hatte es skizziert, als McMullen ihm von den Sí erzählt hatte. Das war erst zwei Tage her. Dass er in der Lage gewesen sein sollte, den Mann zu porträtieren, bevor er ihn jemals getroffen hatte, erschreckte ihn.
„Thorolf, hab keine Angst. Ich habe nicht vor, dir irgendetwas zu tun. Doch du kannst hier im Tombosi keine Wirtshausrauferei um die Ehre deiner Mutter anfangen. Es gehört sich nicht. Schon gar, da all deine Professoren anwesend sind. Sie würden dich aus der Akademie werfen. Das willst du doch nicht, oder? Abgesehen davon würdest du einen Kampf gegen mich verlieren. Also bitte bleib einfach still sitzen und höre zu.
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