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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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der Treppe. Die prominenteren Künstler diskutierten laut im Obergeschoss, Landschafter gegen Genrekünstler, wie immer. Der trockene Frankenwein, der zu den Spezialitäten des Hauses gehörte, wurde in kräftigen Zügen hinabgestürzt.
    Künstlertemperament – das war mehr als nur ein Wort. Der Lärmpegel war beachtlich, und der Tumult im Café ließ die Szene ein wenig chaotisch erscheinen. Einen Augenblick lang glaubte er, Lord Edmond zwischen den Trinkenden zu erspähen, den seltsamen Briten, der bei Lybratte das ganze dumme Gerede über Fey-Kreaturen in Gang gesetzt hatte.
    Als er wieder hinsah, konnte er den Mann allerdings nirgends ausmachen. Dafür war er im Grunde dankbar. Die Präsenz des Engländers hatte ihn ein wenig kirre gemacht. Es war ihm, als müsse er ihn kennen und könne sich nicht erinnern, wo er ihn schon einmal gesehen hatte. Dabei wusste er ganz sicher, dass er ihm noch nie begegnet war.
    Seine Lordschaft war freundlich gewesen, hatte sich für seine Arbeit und seinen familiären Hintergrund, seine österreichische Abstammung interessiert. Lang hatten sie allerdings nicht gesprochen. Trotzdem war es recht merkwürdig. Der liebenswürdige weißhaarige Gentleman hatte eine besondere Art, einen anzusehen, die einem einen Pfad bis ins tiefste Innere brannte. Thorolf war noch nie sehr distanziert gewesen, doch gestern bei Lybratte hätte er sich eine größere Distanz gewünscht. Eine sehr viel größere Distanz.
    Ein Schatten fiel auf seinen Tisch, und er sah hoch. Vor ihm stand ein Fremder, ein großer, schmal gebauter Mann. Das schwarze Haar trug er etwas länger, als zurzeit Mode war, seine anthrazitfarbenen Augen waren groß und sehr direkt in ihrem Blick. Seine Züge waren ebenmäßig, bartlos, aristokratisch und auffällig ästhetisch. Seine Kleidung verriet, dass er zu den besten Kreisen gehörte, und nicht zu den anwesenden Künstlern. Er sah kaum älter aus als Thorolf, und wieder hatte dieser das eigentümliche Gefühl, dass er den Mann kennen müsste.
    Der vornehme Herr verneigte sich und lächelte.
    „Herr Treynstern?“, fragte er.
    Thorolf lächelte und nickte.
    „Sie kennen mich? Ich fürchte …“ Er hub erneut an. „Kennen wir uns? Ich glaube nicht …“
    „Nicht direkt“, gab der Fremde zur Antwort, was Thorolf zu erneutem Grübeln veranlasste. „Bitte gestatte … gestatten Sie, dass ich mich vorstelle.“ Noch eine perfekte Verbeugung. „Graf Arpad. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?“
    Ob es ihm etwas ausmachte, konnte Thorolf nicht sagen. Doch er war ebenso höflich wie neugierig. Er lud den anderen mit einer Geste ein, sich niederzusetzen.
    „Nehmen Sie doch Platz.“
    Der Fremde lächelte höflich.
    „Ich nehme an, mein Name sagt Ihnen nichts?“
    „Sollte er?“
    „Eventuell.“
    „Nein. Tut mir leid. Aber ich schließe daraus, dass Sie Ungar sind.“
    „Ja. Das stimmt. Doch das ist gänzlich nebensächlich.“
    „Nebensächlich?“ Thorolf war verwundert. Kein Ungar, den er kannte, hatte seine Abstammung jemals für nebensächlich gehalten. Ein stolzes Volk, die Ungarn, und zurzeit ganz ungeheuer in Mode. Einen stolzen Ungarn hörte man nicht alle Tage sagen, seine Nationalität sei nebensächlich.
    „Nebensächlich.“ Mit einem Mal wirkte der junge Mann ein wenig nervös, beinahe peinlich berührt. „Du ... da ... sind Sie also nach München gekommen, um Künstler zu werden. Ich habe ja nie geglaubt, dass Sie zwischen Aktenordnern und Testamentsvollstreckungen glücklich werden würden. Ihre Mutter hatte sich natürlich etwas anderes erhofft.“
    Thorolf starrte den Mann an. Wieder einer, der seine Mutter von irgendwoher kannte.
    „Sie kennen meine Mutter?“
    „Schon recht lange. Wir sind alte Freunde.“
    Thorolf wusste nicht, was er sagen sollte. Bei einem Mann seines Alters schien es ihm unwahrscheinlich, dass ihn eine langjährige Freundschaft mit seiner Mutter verbinden könnte. Junge und allzu gutaussehende Herren mit dunklem Haar und blasser Haut, welche darauf hinwies, dass man lieber gemütlich im Salon als in Wald und Flur seinen Mann stand, waren zudem nicht die Art Personen, die ehrbare, alte Witwen – mittleren Alters, korrigierte er sich – kennen sollten. Es roch nach Skandal. Natürlich mochten Damen eines gewissen Alters, die über ein ausreichendes Vermögen verfügten, durchaus geneigt sein, den Nachstellungen junger, hübscher Abenteurer nachzugeben. Das geschah allenthalben und machte die Damen

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