Jenseits des leuchtenden Horizonts - Roman
anfängt.« Cornelius zwinkerte Erin zu.
»Dazu hättest du auch allen Grund«, feixte sie.
3
»Musst du mir denn wirklich die Augen zubinden?«, jammerte Erin und betastete den Schal, den Andy ihr umgebunden hatte.
Er führte sie zum Aufzug in der Halle des Hotel Langham, und ihr war es peinlich, von den Hotelgästen so gesehen zu werden. Andy hatte ihr mehr als einmal erzählt, dass sein Hotel als erstes in England einen hydraulischen Aufzug hatte, der von allen bewundert wurde, und darauf war er sehr stolz.
»Ja, das muss sein«, sagte Andy geduldig, als er den Knopf für die gewünschte Etage drückte und beobachtete, wie die Tür sich schloss. »Entspann dich und vertrau mir, Erin. Meine Überraschung wird dir gefallen.«
»Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich nicht sehe, wohin ich gehe«, beklagte sich Erin. Sie drückte Andys Hand, als der Aufzug sich in Bewegung setzte. Sie fand es furchtbar, sich so ausgeliefert zu fühlen.
»In einer Minute sind wir da«, beruhigte Andy sie und lächelte verstohlen. Er fand es schön, dass Erin stark und unabhängig war, aber manchmal wollte er gern das Sagen haben, und das fand sie schwierig.
Der Aufzug hielt, und Erin hörte, wie die Tür sich öffnete. Andy führte sie auf den Korridor hinaus. Sie gingen nach rechts und dann eine Weile geradeaus, so lange, dass es Erin wie eine Ewigkeit vorkam. Sie war nur dankbar, dass sie niemanden vorbeigehen hörte.
»Habe ich dir erzählt, dass Mark Twain mal auf dieser Etage übernachtet hat, und Napoleon III. und Oscar Wilde auch?«
»Sind wir ganz oben?«, fragte Erin, die sich nicht ablenken lassen wollte.
Wieder lächelte Andy. Erin schien nie beeindruckt, wenn erdie Namen berühmter Gäste seines Hotels erwähnte. »Hinweise gebe ich keine«, sagte er. Er hatte seinen Spaß daran, es spannend für sie zu machen. »Jetzt heb den Fuß, denn wir müssen ein paar Stufen hoch«, sagte Andy.
»Stufen! Wohin bringst du mich?«
»Entspann dich, es wird dir gefallen«, beruhigte Andy sie, als er Erin die kleine Treppe hochführte. »Jetzt werde ich ganz kurz deine Hand loslassen und eine Tür öffnen, also halt dich am Geländer fest. Und nicht schummeln!«
»Jetzt reicht es aber, Andy! Ich nehme das Tuch ab«, schimpfte Erin.
»Wag das ja nicht!«
Sie hörte ihn eine offenbar schwere Tür öffnen. Dann nahm er wieder ihre Hand und führte sie weiter. Frische Luft schlug ihr entgegen, und sie hörte Straßenlärm.
»Wo sind wir?«, fragte Erin jetzt neugierig. Sie hörte, wie die Tür hinter ihr schwungvoll ins Schloss fiel.
»An einem Ort, der für alle anderen verboten ist, kaum einer ist je hier gewesen«, antwortete Andy geheimnisvoll. Offenbar war er sehr zufrieden mit sich.
Erin war alles andere als beruhigt. Andy nahm ihr jetzt vorsichtig das Tuch ab. Er bedachte sie mit einem strahlenden Lächeln, dann trat er zur Seite.
Erin hielt die Luft an. »Wir sind auf dem Dach!«, rief sie, verblüfft über die Aussicht.
»Stimmt genau«, erklärte Andy stolz.
Erin kannte London gut, schließlich hatte sie ihr ganzes Leben hier verbracht. Die Dächer der Gebäude von so hoch oben zu sehen hatte jedoch etwas Magisches. Die Lichter funkelten wie Sterne in der Dunkelheit. Es war, als sähe sie die Stadt zum ersten Mal.
»Das habe ich lange geplant und gebetet, dass das Wetter heute Abend mitspielt«, erklärte Andy fröhlich. »Und es hätte gar nicht besser kommen können.« Er nahm Erins Hand und führtesie weiter vor bis zum Geländer. Menschen und Fahrzeuge auf dem Portland Place und der nahegelegenen Oxford Street wirkten wie Miniaturen, die Straßen sahen ganz schmal aus. Das Hotel Langham lag im Marylebone District, von hier aus sah man in der Ferne den Regent’s Park.
»Was für ein fantastischer Ausblick, Andy«, sagte Erin aufrichtig. »Wieso hast du mich nicht früher schon mal hierhergebracht?«
»Ich habe auf einen besonderen Abend gewartet«, sagte er.
Im Erdgeschoss des Hotels gab es eine elegante Halle, den berühmten Palm Court Tearoom, das noble Restaurant Landau und eine Bar. Darüber gab es vier Etagen mit Zimmern und Suiten, sodass sie hier auf dem Dach fünf Etagen über dem Erdboden waren.
»Aber dafür musstest du mir doch nicht die Augen verbinden«, schalt Erin sanft. »Ich hatte keine Ahnung, wohin du mich bringst.«
»Genau das war meine Absicht, und es ist erst ein Teil der Überraschung«, sagte Andy.
Er führte sie weg vom Geländer, hin zu einem anderen Teil des Daches, und
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