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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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viel übrig behalten außer nächtelangen Träumen von weißen und rotgekochten Scheren auf einem Fließband, weil sie ihren ganzen Lohn sofort in diesem Laden ausgab. Nun ist hier keine Fischverarbeitung mehr, wie in so vielen Dörfern, die Axel als Unternehmer mit gierigen Augen betrachtet – oder Arndís, wenn man so will.
    Der Sturm schlägt mir die Autotür gegen den Körper, als ich aussteigen will, das Brüllen des Meeres lässt meine Ohren taub werden, mühsam kämpfe ich mich in den Windschatten vor. An der Tür stehend überlege ich zum ersten Mal, ob sie vielleicht verschlossen sein könnte, aber zum Glück ist sie das nicht. Sie knallt so heftig hinter mir zu, dass ich voller Furcht aus einem Fenster blicke. Möwen fliegen vorbei.
    Und nun?
    Langsam gehe ich weiter in das Gebäude hinein. In der Luft hängt der Geruch von längst totem Fisch, einer Erinnerung an die Fangmengen, die die Männer hier einst hineinschaufelten, zu den Frauen mit erhobenen Filetiermessern. Der Sturm rüttelt an den Fenstern, in einer Ecke ist ein Haufen zerschlissener Gummistiefel zu einer Skulptur geworden.
    Nirgendwo ein Zeichen von Leben. Vorsichtig steige ich eine von Neonlicht erleuchtete, grün gestrichene Treppe hinauf, schaue in eine Art Kantine hinein, gehe durch einen weiteren großen Raum mit Küchengeräten. Dann erreiche ich die schummrige Geisterbar, die mit Puppen von Gespenstern, Trollen und Sagahelden in grobem Leinen und Schafshautschuhen dekoriert ist. Linker Hand thront der Tresen aus Walknochen, darüber hängen zusammengewachsene Lammköpfe. Hier mischt sich Bierdunst in den Fischgeruch. Ich öffne einen Coca-Cola-farbenen Kühlschrank. Er ist mit Trockenfisch in kleinen Tütchen gefüllt. Ich gehe zu einem großen, salzverkrusteten Fenster, ziehe die schwarze Gardine zur Seite und sehe hinaus auf das Meer, das schäumend an den Strand schlägt: brandungsweiß, meeresgrün und zornig in flammender Morgenröte. So wunderschön, dass mir die Tränen kommen. Fast.
    Dann fahre ich herum.
    Was für eine bescheuerte Idee, in dem Glauben hierherzukommen, ich könnte sie finden. Es ist wirklich einzigartig, wie ich mir das Leben schwermachen kann. Hier ist niemand außer mir, die ich mich wahrscheinlich gerade des Hausfriedensbruchs schuldig mache. Nun ist wirklich Schluss. Ich lasse die Finger von der Sache. Sage der Polizei, was ich weiß, dann sollen die ihren Job machen. Wahrscheinlich ist Arndís tot. In meinem Bauch wüten ganze Ozeane, drücken bis in den Brustkorb und wollen durch meine Augenhöhlen hinaus. Warum habe ich sie damals nicht angerufen, anstatt mir einzureden, dass ich ihr einmal zu nahe stand, um mich jetzt bei ihr zu melden. Unglaublich, wie falsche Entscheidungen sich rächen können, ich bekomme es einfach nicht hin, mich wie ein Erwachsener zu benehmen. So ein Quatsch, sich allein in diese Sache einzumischen, vielleicht sogar mit Terroristen auf den Fersen. Oh … Gott! Auf einmal ist überall Lachen, ein groteskes Wiehern erfüllt den Raum. Sind sie mir gefolgt? So lacht doch kein menschliches Wesen.
    Hi Sunna. Eine wohlbekannte Stimme bricht sich durch das Lachen Bahn. Willst du mich besuchen?
    Ich wirbele herum, doch es ist niemand zu sehen.
    Keine Angst. Das Trollgelächter kommt vom Band. Du bist in einem Geistermuseum.
    Wo bist du?
    Hier. Arndís kommt hinter einem Vorhang hervor, so dass Staub um sie herum aufsteigt. Sie lächelt durchtrieben, hat die Hände in den Hosentaschen und setzt einen Fuß vor den anderen, mit breitem Gang, in Wanderstiefeln. Obwohl sie älter geworden ist, versprüht sie immer noch denselben Charme. Ihr Haar ist länger, als ich es von ihr kenne, ihr Gesicht kann ich in dem schummrigen Licht nicht ganz erkennen, und doch habe ich das Gefühl, dass sie reifer aussieht. Sie trägt andere Sachen, als die Polizei in der Suchmeldung erwähnt hat. Über ihre Schultern hängt eine Barbour-Jacke, dunkelgrün. Als sie näher kommt, sehe ich, dass das Innenfutter kariert ist. Darunter trägt sie eine Art Anzug. In Grau.
    Was machst du denn hier?, fragt sie.
    Was machst du denn hier?
    Kannst du dir das nicht denken, nachdem du hierher gefunden hast?
    Ich habe sie gesehen. Ich habe … ihre Tochter gesehen.
    Arndís versteift sich.
    Komm!, sagt sie.
    *
    Schweigend gehen wir eine Treppe hinunter, um eine Ecke herum und einen Flur entlang zu den ehemaligen Umkleideräumen mit Kleiderhaken an den Wänden. Dort ist es hell, hinter einem Fenster liegt das Dorf, neben

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