Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
ich die Tür und nehme das Telefon.
Hallo, Axel.
Hallo, mein Schatz. Wie geht es dir?
Es geht, antworte ich müde und spüre, wie eine Welle des Vermissens meinen Körper ergreift, der Drang danach, seinen Geruch zu spüren, ihn zu berühren und zu umarmen. Ich versuche, ihn das nicht spüren zu lassen, als ich frage, ob er morgen nach Hause komme.
Hoffentlich, sagt er vorsichtig. Aber Sunna, du musst mir Geld überweisen.
Ich habe dir heute Geld überwiesen, sage ich überrascht.
Das ist weg.
Wie meinst du das?
Also, dass ich … wir … total pleite sind, sagt Axel, und seine Stimme bricht, als er zugibt, dass in den letzten Tagen immer wieder eine Maschine nach Reykjavík gestartet sei, er aber versucht habe, seine Geschäfte in den Westfjorden in Ordnung zu bringen, aber alles nur immer schlimmer geworden sei. Er habe alles gegeben, um seine Firma zu retten, und wolle nicht, dass ich mir unnötig Sorgen machte. Anfangs dachte er, die Sache sei an einem Tag erledigt, dann an zwei Tagen, drei Tagen, er wollte mir unbedingt diese Aufregung ersparen, ein paar Tage kämpfen für uns und für Helgi und für seine alte Heimat, damit wir endlich auf einen grünen Zweig kommen – aber um ein Wunder zu vollbringen, brauche es Glauben, und dort glaube niemand mehr an ihn, keine Menschenseele, und nun sei alles in Gefahr, dabei habe er doch in jedem Kaff mit jedem Menschen geredet, der das Schiff möglicherweise hätte retten können …
Welches Schiff, Axel? Und wo ist das Geld, das ich dir überwiesen habe?
Das ist gleich in die Tilgung gegangen, stammelt er. Ich habe meinen Dispo überzogen, ohne es zu merken, und sie haben die Firmenkreditkarte gesperrt und … Sunna, du glaubst doch an mich, oder? Wir können das schaffen. Vielleicht kündigen sie uns auch noch die anderen Kredite auf, aber wir müssen das durchstehen. Wir müssen!
Was für Kredite?
Na, diese Kredite eben, sagt er und erklärt weiter. Erklärt und erklärt. Wiederholt gebetsmühlenartig die Worte wir müssen … Weil er weiß, dass ich wie eine Schneekönigin durch seine Luftschlösser stolziere.
Kann ich ihm verzeihen?
Kann ich ihm telegrafisch Geld überweisen?
Ich sehe zu, wie der Dampf aus dem Fenster zieht, segelnde Nebel im Mondlicht. Dann hat er vielleicht gar nicht vergessen, mir von der Vogelspinne bei unserem Nachbarn zu erzählen, sondern wollte einfach nicht, dass ich mir unnötig Sorgen machte.
Das Badewasser wartet.
*
Ich rieche den tranigen Gestank von den Papageientauchern, die Mama inzwischen angefangen hat zu braten, blutige Milch legt sich auf meine Sinne. Er will seine alte Heimat retten. Arndís wollte einer Frau in Not helfen, hat sie gesagt. Sie sagt, was ihr gerade in den Kram passt. Genau wie er. Während ich blind um das Feuer herumtanze.
Der Rauch dringt bis unter meine Augenlider, nur eine arglose Person kann sich zu diesem taktlosen Getrommel bewegen. Aber ich trete daneben. Ich bin, wie ich bin, schwer, weil es so anstrengend ist zu atmen, die Luft drückt meine Augen in den Kopf hinein, ich weiß nicht mehr, wie ich heiße.
Ich höre das Zischen in der Pfanne, bald wird Mama von ihrem Enkelkind erfahren. Genau wie Axel. Wahrscheinlich wird er auch die Geschichten aus Barcelona hören, hier, wo uns nichts geblieben ist außer Erinnerungen – nicht einmal diese Küche gehört uns, die er gebaut hat aus Holz aus dem Baumarkt, auch das auf Pump. Wir können uns Geschichten erzählen. Versuchen zu erkennen, wo sich im Leben die Verbrechen verbergen, und uns ein Biotop schaffen. Wir können über dieses ganze Schuldigsein plaudern, dieses schuldlose Schuldigsein. Bankrotte Menschen haben nichts zu verlieren.
Sie können zusehen, wie die Lügen überall herumfliegen, surrend wie Mücken in einer warmen Nacht. Eine von tausend wird das Auge erkennen, wie einen Spion, der seine Tarnung auffliegen lässt, damit die anderen ungestört ihr Werk vollenden können. Das Surren ist kaum auszuhalten. Die Nervenenden liegen offen, wenn man sich in die Dunkelheit hinaustastet. Stärker und stärker wird das Gefühl, dass eine von ihnen zugestochen hat. Dass ein Verbrechen begangen worden ist.
Oder mehrere.
Wohin führt die Spur?
Ich muss eine Entscheidung treffen.
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