Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
habe, könnte ihnen etwas erzählt haben.
Was könnte sie ihnen erzählt haben?
Sunna, du musst mir glauben! Sie sieht mich verzweifelt an. Du willst ganz sicher nicht in diese Sachen hineingezogen werden. Das sind die Männer, die Benni auf diese furchtbare Art umgebracht haben, glaube ich zumindest.
Ich dachte, das waren Terroristen, die ein Zeichen setzen wollten, stammele ich, irritiert davon, wie verzweifelt sie war.
Das dachte ich damals auch – aber dann kam mir ein ganz anderer Verdacht, obwohl die Medien von einem terroristischen Anschlag sprachen und die Polizei in diese Richtung ermittelte, sagt Arndis und verschränkt die Arme. Ihr Blick wirkt fiebrig, als sie mich fragt, ob die drei Männer mir hierher gefolgt sein könnten.
Das glaube ich kaum, sage ich und spüre, wie ich trotzdem nervös werde. Ich habe mich in aller Frühe aus dem Haus geschlichen, und sie waren nirgendwo zu sehen, wahrscheinlich haben sie es aufgegeben, mich zu verfolgen, und halten sich nun an Gardar.
Gardar! Woher wissen die überhaupt, dass er mein Mann ist? Ich habe so darauf aufgepasst, dass es nirgendwo offiziell vermerkt ist, dass wir zusammenwohnen.
Ich zucke mit den Schultern. Sage ihr, dass die Männer auftauchten, nachdem ich mich zum ersten Mal mit Gardar getroffen hatte. Und wenn sie Englisch können und sich die Homepage genauer ansehen, ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sie eins und eins zusammenzählen und hier auftauchen. Es wundert mich überhaupt, warum die Polizei noch nicht auf die Idee gekommen ist.
Die Polizei war schon hier, ebenso wie Gardar, erwidert sie. Aber es ist nun mal schwierig, jemanden zu finden, der nicht gefunden werden will. Und auch nicht besonders wahrscheinlich, dass eine wohlhabende Galeristin sich in einer verlassenen Fabrik versteckt – für die der Kaufvertrag schon fast unterschriftsreif war, als diese Idioten hier aufgetaucht sind.
Ihr Sarkasmus geht mir auf die Nerven, doch ich sage trotzdem ganz ruhig: Du musst mir sagen, warum die hinter dir her sind. Sonst gehe ich zur Polizei.
Das darfst du nicht, ruft sie.
Ich muss – außer du erzählst mir alles.
Ihre Augen blitzen, als ihr klar wird, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Ihr Schweigen ist scharf, schneidend, dann sagt sie: Wenn du unbedingt willst.
Bei einem der unzähligen Male, als Arndís in dem Imbiss herumhing, rauchend über den Resten einer Fleischsuppe mit arabischem Popfernsehen im Hintergrund, hatte Fatima sich zu ihr gesetzt und vorgeschlagen, dass sie einen Spaziergang machen.
Arndís gefiel die Idee, wie immer auf Fatimas Gesellschaft erpicht. Auf den ersten Metern redeten Sie über dies und das, doch sobald sie die breiten Straßen um den Sant-Antoni-Markt erreicht hatten, führte Fatima sie zu einer Bank, und sie setzten sich. Es muss an einem Sonntag gewesen sein, denn sie konnten zusehen, wie sich die Menschen über den Bücherflohmarkt drängelten, da nahm Fatima plötzlich ihre Hand. Fatimas Hand war feucht, sie atmete stoßartig, die Worte kamen langsam aus ihrem Mund, eins nach dem anderen. Sie flüsterte, dass sie vor einiger Zeit vergewaltigt worden war.
Frühmorgens war sie in einer Seitenstraße in El Raval unterwegs gewesen, auf dem Weg zum Schlüssel-Service, als ein Mann sie in eine dunkle Ecke zog und einfach zu Boden warf. An ihrem Kleid klebten tote Fliegen danach, es ging alles ganz schnell, dann ließ er sie einfach liegen. Zuerst hatte Fatima versucht, diesen Angriff zu vergessen. Sie ging morgens und abends in die Badewanne, um die blauen Flecken und die Erinnerungen abzuschrubben, fest entschlossen, alles auszulöschen, was passiert war, zum zweiten Mal ein neues Leben zu beginnen und glücklich zu sein, koste es, was es wolle.
Mit der Zeit hatte sie es kaum noch ausgehalten, allein mit ihren Gedanken, schöpfte aber neue Hoffnung, als sie Arndís kennenlernte. Diese selbstbewusste Frau aus dem Norden hätte so einen Schock sicher verkraften können, und so wollte auch sie sein – voller Glauben an eine gute Zukunft. Aber die Angst ließ nicht nach. Sie breitete sich aus, mehr und mehr, bis Fatima nicht mehr weiterwusste. Mehr als alles andere fürchtete sie, dass ihre Cousins ihr nicht glauben würden. Sie hatte es immer weiter vor sich hergeschoben, ihnen und ihren Frauen zu erzählen, dass sie schwanger war, sie wollte ihrer Familie keine Schande bringen. Nun versuchte sie jedoch, all ihren Mut zusammenzunehmen, zumal es immer schwieriger wurde, ihr
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