Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
überfliege die Titel der Artikel. Habe ich richtig gesehen? Da steht der Name Benedikt Bjarnason.
Bist du zu Hause?, ruft Mama von vorne an der Haustür.
*
Wie geht es uns denn?, fragt sie, als ich zu ihr und Helgi hingehe.
Mir geht es gut, antworte ich und streiche mir versehentlich über den Bauch. Die beiden scheinen sich wieder einmal blendend zu verstehen, mit etwas anderem hatte ich auch nicht gerechnet, ich erinnere mich an die schönen Stunden mit ihr, als ich selbst noch ein Kind war. Wir hatten Häuser aus Schuhkartons gebastelt, Halsbonbons gelutscht, gelacht und geschwatzt, froh, dass wir einander hatten. Nie will ich vergessen, was sie mir war, schießt es mir in den Kopf, und die Feierlichkeit dieses Gedankens überrascht mich. Ich muss wirklich ganz schön müde sein. Ich verscheuche die Gefühlsduseligkeit und sage ihnen, sie sollen hereinkommen, bevor sie festfrieren. Helgi nimmt mich beim Wort, Mama jedoch zögert, sieht mich scharf mit ihren Möwenaugen an, fest entschlossen zu erfahren, wie es mir ergangen ist.
Wie lief der Workshop?, frage ich, denn Angriff ist die beste Verteidigung. Helgi platzt fast vor Neugierde. Nachdem er seine Mütze abgenommen hat, erinnert mich sein Haar an Wollgras, seine Wangen glühen vor Kälte. Wo hat die Polizei dich hingebracht?, fragt er aufgeregt. Mama übertönt ihn mit einem lauten Niesen. Sie zieht ein Taschentuch hervor, schnäuzt sich energisch und sagt, dass den Leuten der Abend gefallen habe. Aber genug davon, Sunna. Was ist passiert? Was hat die Polizei gesagt? Ist deine Freundin wieder aufgetaucht?
Sie steckt das Taschentuch ein, kneift die Augen zusammen und streckt den Kopf nach vorn. Helgi bringt sich neben ihr in Position, die Leibgarde der unbestechlichen Generälin. Sie saugen jedes Wort auf, als ich sage, dass Arndís gesund und munter sei, aber bereits wieder verschwunden. Und dass ich den Verdacht habe, sie wolle sich gar nicht finden lassen, wir also aufhören können, ihr weiter hinterherzuspionieren.
Wir werden sehen, sagt Mama, bevor sie mühevoll ihre Schuhe auszieht, sie an die Wand stellt und dann direkt in die Küche geht. Nun machen wir Papageientaucher!
Helgi und ich sehen ihr hinterher. Er fragt, ob er seine Mutter anrufen dürfe. Ich streiche ihm durch die zerzausten Haare, sehe in seine meeresblauen Augen und bitte ihn, damit noch einen Moment zu warten, bis ich mit Axel gesprochen habe. Er verzieht so misstrauisch das Gesicht, dass er mich an einen mit einem Stofftier kämpfenden Welpen erinnert. Etwas durcheinander danke ich ihm für den schönen Krimi.
Hast du ihn ganz gelesen?
Mit großem Vergnügen, sage ich, woraufhin er ins Wohnzimmer geht, um sich seine Geschichte noch einmal anzusehen. Er springt auf das Sofa und bewundert sein eigenes Werk wie eine Mutter ihr Baby. Ich gehe in die Küche, setze mich an den Computer und beobachte, wie Mama Kartoffeln in einen Topf gibt. Sie will das Papageientaucher-Fleisch sowohl kochen als auch braten.
Mama?
Ja, mein Sonnenschein?
Erinnerst du dich, dass ich dir einmal ein blutiges Bettlaken gegeben und dich gebeten habe, es zu waschen?
Blutig ist übertrieben, Sunna. Sie bemüht sich, die Gasflamme für die Kartoffeln zu entzünden, wringt ein Wischtuch aus und meint sich zu erinnern, dass auf dem Laken ein einziger Blutfleck von der Größe einer halben Moosbeere gewesen sei. Das Laken befinde sich in einem tadellosen Zustand und liege seit nunmehr über einem Jahrzehnt gemangelt und zusammengelegt in ihrem Wäscheschrank. Denn sie schlafe nicht auf den Laken anderer Leute. Wem gehört das denn?
Ich ringe mir die Wahrheit ab und sehe Mama verwundert an, als sie, das Wischtuch unter den Arm geklemmt, aufgeregt auf mich zugeht: Wenn man die dreißig überschritten hat, sollte man wissen, was man will. Da hoffe ich doch sehr, dass du Valgardur das Laken nur zurückgibst, wenn er dir hilft, mit dem Schreiben anzufangen. Nicht so ein Werbegefasel wie heute Abend, sondern richtige Bücher. Handele das mit ihm aus. Er ist immerhin dein alter Schulfreund.
Warum?
Weil ich weiß, dass du erkennen kannst, wo sich im Leben Geschichten verbergen, sagt sie. Du hast dieses Talent. Vielleicht hast du das von deinem Vater. Ich denke das manchmal, wenn ich mich an seinen Blick erinnere.
*
Während die Kartoffeln kochen, wischt Mama die Arbeitsfläche ab und bereitet die heilige Handlung vor, bei ihrer Tochter Papageientaucher zuzubereiten. Nebenbei rührt sie in dem Rhabarber-Kompott
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