Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt
Gespräch darauf komme. Schließlich seien sie – und wohl auch er – darauf gezeugt worden. Wahrscheinlich zumindest. Er lacht verlegen.
Ich verspreche ihm, der Sache nachzugehen. Stehle mich unter seinem dankbaren Lächeln davon.
*
Valgardur stößt mit Stefanía und den Brüdern an, sie plaudern. Ich öffne Weißweinflaschen, falte Servietten zu Dreiecken und schütte Salznüsse in Schalen, während ich mit den Gedanken ganz woanders bin.
Ich bin froh, als Mama und Helgi schließlich sturmzerzaust in der Tür erscheinen, aber Helgis abgespannter Gesichtsausdruck macht mir Sorgen. Er sieht sich um, schweigsam mit seinem Malheft unter dem Arm und der schweren Schultasche auf dem Rücken. Dann lässt er sich auf einen Stuhl fallen und gähnt, ganz offensichtlich erschöpft durch die lange Abwesenheit seiner Eltern. Dann sieht er auf und folgt mir mit den Augen. Steht auf, um zu helfen.
Ruhe dich lieber ein bisschen aus, sage ich.
Ja, bleib nur sitzen, mein Guter, sagt Mama.
Er gehorcht. Setzt sich wieder, öffnet sein Malheft, entnimmt ihm ein paar Seiten, die er sorgfältig faltet und mir in die Tasche steckt, als ich mich dem Tisch nähere.
Was ist denn das, Helgi?, frage ich mit beiden Händen voller Pappteller.
Meine Geschichte, sagt er.
Ich dachte, die wolltest du Oddný zeigen, sagt Mama. Aber nein, er schüttelt den Kopf, die Geschichte sei für mich und vielleicht auch für sie. Und für seine Mama und seinen Papa. Das sei nämlich eine wahre Geschichte.
*
Sie hören dem Bestsellerautor andächtig zu. Oddný, der Wuschelkopf, die Frau mit dem wallenden Haar, die Joggerin und alle anderen ebenso wie die Brüder, Stefanía und Dagbjört. Sogar der Bürobote. Alle wollen wissen, wie er es geschafft hat, sich ein Vermögen, eine berühmte Schauspielerin, eine Luxuswohnung in New York und das Glück mit großem ›G‹ zusammenzuschreiben. Ich kann kaum die Augen offen halten, während Valgardur das Geheimnis seines Erfolges offenbart. Schreiben bedeutet, einsam zu sein, sagt er gravitätisch und rückt seine Haartolle zurecht. Auf sich allein gestellt zu sein, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Sich allen möglichen Spaß zu verkneifen, nichts mit der Familie zu unternehmen, wie andere Leute mit einem normalen Feierabend. Dauernd an sich selbst zu zweifeln, an seinem Werk, seiner Existenzberechtigung. Keine Ruhe zu haben vor den Worten und Ideen, nicht bei Tag und nicht bei Nacht. Wer schreibt, muss sich trauen, ohne Bezahlung zu arbeiten, wieder und wieder und wieder. Er muss die Werke anderer Autoren verschlingen und verdauen, egal wie gut sie sind oder wie sehr sie ihm im Magen liegen. Kritik aushalten und weitermachen. Lob aushalten. Und noch mehr Kritik. All das genießen. Nichts anderes wollen. Nur dafür leben. Denn Schreiben bedeutet leben.
Manche lächeln, einige rutschen auf ihren Stühlen hin und her. Der Wuschelkopf neigt sich zu seiner Sitznachbarin und flüstert unnötig deutlich, dass der Mann rede wie in einer Selbsthilfegruppe. Sein Flüstern verstummt abrupt, als zwei uniformierte Beamte zusammen mit einem in Zivil gekleideten landesbekannten Kriminalkommissar hereinkommen, der gebieterisch die hochtrabende Rede mit den Worten unterbricht: Arbeitet hier eine Sunna Nönnudóttir?
Gehört das zum Programm?, fragt Valgardur verwirrt, als ich aufspringe. Während mir das Herz in die Hose rutscht, gehe ich auf die Polizisten zu und sage hastig, dass ich meine Aussage erst nach Feierabend machen wollte.
Jetzt ist Abend, sagt der Kommissar und zieht seine Wollmütze tiefer in das Gesicht mit den geröteten Röntgenaugen, bevor er eine Geste macht, dass ich ihnen folgen möge. Hilflos sehe ich Mama an. Rufe ihr zu, dass sie Helgi nach Hause bringen müsse. Spüre, wie sie mir hinterhersehen, alle diese Augen, als ob alle da drinnen mich schon immer so angesehen hätten: dauernd überlegten, wer diese Frau eigentlich sei, woher sie komme, wie sie ihnen nutzen könne.
Die Frau, die die Polizisten aus dem Krimi-Workshop hinausführen.
*
Die beiden Polizisten setzen sich nach vorne, der Kommissar kommt zu mir auf die Rückbank des Streifenwagens. Er steckt seine Wollmütze in die Tasche, woraufhin sein dichtes schlohweißes Haar in alle Richtungen absteht, und erklärt mir dann mit nordisländischem Akzent, dass die drei Männer nun in Haft seien und es darum gehe, so viele Informationen zu sammeln wie möglich, bevor sie den Behörden in einem größeren
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