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Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt

Titel: Jenseits des Meeres liegt die ganze Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Audur Jónsdóttir
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auf eine Serviette und sage, dass ich jetzt keine Zeit für Computerkram habe.
    Schnaubend geht sie in ihr Büro.
    Die Brüder schicken ihr gierige Blicke hinterher. Dann sehen sie einander verschämt an. Und schlagen vor, dass ich als Tischdekoration ein paar Bücher von Valgardur aus dem Lager hole.
    *
    Bist du es wirklich?
    Sunna, grüß dich! Valgardur unterbricht sein Gespräch mit Kjartan und winkt mir zu. Entspannt und sonnengebräunt, mit rötlichem Haar, das er in einer Tolle seitlich aus der Stirn gekämmt hat; auf seiner scharf konturierten Nase sind Sommersprossen. In dem Anzug und den glänzenden Krokodilleder-Schuhen scheint er geradezu nach Wohlstand zu riechen. Attraktiver, als ich ihn in Erinnerung hatte.
    Hier versteckst du dich also!, trompetet er und sieht mich freundlich an. Immer wenn ich hier bin, frage ich nach dir, aber wir verpassen uns jedes Mal. Man verliert so schnell den Kontakt zu den alten Schulfreunden, wenn man im Ausland lebt. Gibt es etwas Neues von der guten, alten Björg?
    Hallo Valli, stottere ich und halte dem Blick seiner charismatischen Augen stand. Schön, dich zu sehen. Björg, ja, der geht es wohl ganz gut.
    Ihr seid doch bestimmt noch befreundet, oder?
    Ich lächele steif. Doch, natürlich, so wie man halt so befreundet ist. Wir haben ja alle ziemlich viel zu tun.
    Kjartan federt in den Knien. Das kann man wohl sagen, brummelt er und klettert an einem Regal hinauf, um ein paar Bücher zu ordnen. Nervös sehe ich ihm hinterher. Valgardur versteht die Ursache meiner Nervosität falsch. Das ist ja unglaublich. Er lächelt mich an und sagt, wie sehr er sich freue, endlich mal jemanden von früher zu treffen.
    Ja, ja, sage ich. Das kann man wohl sagen. Also dann …
    Du, Sunna?
    Was?
    Er legt theatralisch den Finger an seine Nase. Du hast da etwas. Bist du etwa bei dem Wetter draußen herumgelaufen?
    Nein, doch, nein. Mit heißen Wangen ziehe ich die Nase hoch, während er zusieht, wie mir die Nase läuft und ich ihn mit offenem Mund anstarre. Nach dem Abenteuer des heutigen Morgens ist mein Haar zerzaust, ich rieche nach Fisch und trage Axels Fleece-Overall. Es gibt wenig Schlimmeres im Leben, als einen Schulkameraden zu treffen, der einen in ein längst vergessenes Wesen zurückverwandelt. Ich werfe die Hände in die Luft und sage seufzend, dass es nun wirklich Zeit sei, die letzten Vorbereitungen für den Empfang zu treffen, außerdem seien die Brüder bereits ganz gespannt auf ihn. Meine Stimme wirkt sicherer, als ich an die Popel denke, die er im Dänischunterricht gegessen hat. Sie erwarten dich mit Kaffee und Cognac, sage ich aufgekratzt.
    Sehr zu meiner Verwunderung wird Valgardur plötzlich ernst. Er verzieht den Mund, streicht sich über das Gesicht und räuspert sich, dann fragt er vorsichtig, ob er kurz unter vier Augen mit mir reden könne.
    Aber klar. Hier?
    Ja. Oder hier hinter dem Regal mit den Reiseführern, sagt er nervös.
    Dort?
    Nur ganz kurz, Sunna. Ich habe seit Jahren versucht, dich hier zu erwischen, bitte, tu mir den Gefallen!
    Das Weihnachtsgeld hält mich davon ab, Reißaus zu nehmen. Vollkommen perplex folge ich unserem Starautor in eine Ecke, wo er mir zuflüstert: Weißt du, was aus dem Bettlaken geworden ist?
    Lange Zeit überlege ich, was ich antworten soll. Ist er verrückt geworden? Wie ein geprügelter Hund starre ich in seine ernsten Augen. Und sage schließlich. Tja, das ist so eine Sache. Brauchst du es zurück?
    Ja, sagt er aufgeregt. Du erinnerst dich, oder? Das Laken mit dem Monogramm, das du als Andenken mitgenommen hast.
    Als Andenken?
    Ja, Sunna. Weißt du das nicht mehr? Als wir noch … Kinder waren.
    Doch, doch. Das weiß ich schon noch.
    Weißt du, wo das abgeblieben ist? Seine Stimme klingt immer nervöser, als Valgardur noch näher kommt und sagt, dass er wisse, wie absurd das sei, und ich bitte nicht denken solle, er sei neurotisch. Aber es sei nun einmal so, dass es sich bei diesem Laken um ein altes Familienerbstück handele. Seine Mutter habe es ihm zum Abitur geschenkt, sie wiederum habe es von ihrer Mutter bekommen und die wiederum von seiner Urgroßmutter, einer begnadeten Näherin. Falls dieses Bettlaken also noch rein zufällig irgendwo aufzutreiben sei, wäre er mir ewig dankbar. Es habe für seine Familie einen großen ideellen Wert, zumal sein Vater bereits tot sei und er Einzelkind und so weiter. Seine Mutter vermisse es schmerzlich, seit ich es mir … ausgeliehen habe. Bekomme sich gar nicht wieder ein, wenn das

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