Jenseits des Meeres
übers Gesicht lief. „Ihr wolltet wissen, was mir solchen Kummer bereitet? Ihr! Ihr selbst seid es, der mir Kummer bereitet, Kieran O’Mara!“ Sie wandte sich von ihm ab. „Ihr ließet Euren eigenen Bruder und mich bei diesem Unwetter zurück, während Ihr selbst im warmen Gasthaus saßet und der Tochter des Kapitäns schöne Augen machtet.“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Und das ist alles?“ Jetzt lachte er laut und schalkhaft. „Nun, ich schuldete dem Kapitänstöchterlein etwas.“ Seine Augen leuchteten warm. „Ihr seid ja richtig eifersüchtig auf Nola!“
„Eifersüchtig!“ Megan versetzte ihm einen Stoß. „Ich bin nicht eifersüchtig auf eine Schankmagd, Kieran O’Mara! Wütend bin ich! Wütend, dass ich ..."
Sie merkte, dass ihre Wangen heiß waren, und zwang sich weiterzureden. „... einem Mann wie Euch erlaubt habe, sich mir gegenüber Freiheiten herauszunehmen.“
„Freiheiten?“ Kieran hatte Mühe, sich das Lächeln zu verkneifen. Wäre Megan nicht so außer sich, würde er sie jetzt necken. „Megan, hört mich an.“ Er sprach so leise, dass der Kapitän es nicht hören konnte. „Ich wusste, dass ein Fremder auf der Insel Nola faszinieren würde. Und ich tat so, als wäre ich ebenfalls von ihr beeindruckt. So konnte ich ihren Vater überreden, uns über den Kanal zu bringen. Das Mädchen bedeutete mir nichts. Es war mir nur nützlich bei unserer Flucht.“
„Lächelt Ihr immer so charmant, um zu erreichen, was Ihr wollt?“
Jetzt machte er ein ernstes Gesicht. Er war nicht besonders stolz auf das, was er getan hatte. „Jawohl.“
„Dann muss ich davon ausgehen, dass Ihr bei mir genauso vorgeht, Kieran. Als Ihr mich küsstet, verfolgtet ihr womöglich nur ein Ziel: mich gefügig zu machen, um so leichtes Spiel mit mir zu haben.“
„Verdammt noch mal.“ Kieran packte sie bei den Oberarmen und zog sie rau an sich, bis ihr und sein Gesicht nur noch ein paar
Fingerbreit voneinander entfernt waren. Er blickte ihr tief in die Augen und redete jetzt ebenso aufgebracht wie sie, obschon er vor Verlangen nach ihr bebte.
„Ich lasse mich nicht verhören wie ein Jüngling! Ich entschuldige mich auch nicht wegen der Kapitänstochter. Um vor den Henkersknechten zu fliehen, würde ich alles Mögliche tun. Ich würde sogar töten, wenn ich dadurch der Hölle eines englischen Gefängnisses entgehen könnte. Bei allem, was mir heilig ist - ich schwöre, dass ich als freier Mann auf meinen Landbesitz heimkehre, einen Besitz, den man mir niemals wieder fortnehmen wird“, setzte er mit Nachdruck hinzu.
Lange schauten sie einander schweigend an. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt.
„Und was den Kuss betrifft ..." Kieran atmete einige Male tief durch, um sich zu beruhigen.
Sie war bestürzt über das Ausmaß seines Zorns.
„Ich nehme an, Ihr erwartet eine Entschuldigung dafür, dass ich mich einen Moment lang meiner Leidenschaft hingegeben habe“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Doch eine solche Entschuldigung werdet Ihr von mir nicht hören, Megan!“ Damit verließ er sie und nahm einen Riemen auf.
Megan guckte ihm ratlos hinterher. Seine Worte hallten noch immer in ihr nach. Ja, Kieran war ein leidenschaftlicher Mann, nicht nur wenn es um die fleischliche Lust ging. Doch nachdem sie jetzt wusste, wie sehr er die Schwäche, die Kontrolle über sich zu verlieren, an sich verachtete, erschien ihr dieser Kuss umso herrlicher.
Megan wickelte sich in das Schafsfell, kauerte sich erneut in eine Ecke des Boots und versuchte, das Heulen des Sturms nicht wahrzunehmen. Dieser Sturm war ohnedies nichts verglichen zu dem Sturm, der in ihrem Herzen wütete.
8. KAPITEL
Eine alte Frau, deren Gesicht sie nicht zu erkennen vermochte, wiegte Megan in den Armen. Dabei sprach sie zu ihr: „Du darfst dich nicht deinen Stimmungen hingeben, Kind. Dein Temperament ist ebenso aufbrausend wie das deines Vaters. Für ein Mädchen gehört es sich nicht, so zu fluchen. Nimm dir deine sanfte Mutter zum Vorbild. Sie ist eine wirkliche Lady, und das wirst du auch einmal sein, wenn du erwachsen bist. Gib deiner alten Amme Grund, stolz auf dich zu sein, Kind. Bemühe dich noch mehr. Tu’s für die alte Morna.“
Die alte Frau wiegte Megan weiter hin und her und summte dabei ein Lied.
Die Stimme wurde immer leiser, bis sie sich wie das Seufzen des Windes anhörte. Doch der Name blieb. Alte Morna. Alte Morna ...
Sanft spielte der Wind mit Megans Haar. Sie öffnete die
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