Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
grau getigerte Katze, die blinzelnd und die Vorderpfoten unter ihrem weißen Brustlatz vergraben unter dem Rhododendron lag, würdigte Ada keines Blickes, zur Strafe dafür, dass sie so lange weggeblieben war.
»Wie geht es Len und Sis denn?« Ada kraulte Gladdys Stirn und freute sich daran, wie der Setter selig die Augen zudrückte und die Lefzen locker hängen ließ.
»Gut. Alles wie gehabt. Len bricht reihenweise Herzen, und Sis liegen Scharen von Kavalieren zu Füßen«, spöttelte Grace mit einem warmen Unterton, der ihre Zuneigung zu den beiden verriet.
Ada lächelte.
»Tommy wirst du allerdings kaum wiedererkennen«, sagte Constance Norbury und rührte Zucker in ihren Tee. »Ein richtig großer Bursche ist aus ihm geworden.«
»Oh ja«, stimmte Grace lachend zu. »Schon fast ein kleiner Gentleman! Len ist mächtig stolz auf seinen kleinen Bruder.«
Die Art, wie Grace und ihre Mutter einander dabei ansahen,so einmütig, so vertraut, versetzte Ada einen Stich. Der umso schmerzhafter war, weil sie geglaubt hatte, sie sei darüber hinweggekommen, dass sie sich nicht mit Grace messen konnte, die nicht nur die Älteste von ihnen dreien war, sondern auch das Ebenbild ihrer Mutter. Es bedurfte schon eines zweiten, eines dritten Blickes, um Grace nicht für die jüngere Schwester von Lady Norbury zu halten, so sehr glichen sich Mutter und Tochter in Gestik und Mimik, im feinen Schnitt des ovalen Gesichts, in der anmutigen Nackenlinie, der schlanken, hochgewachsenen Gestalt und dem Haar in der Farbe eines reifen Kornfelds.
Wie viel leichter war es doch gewesen, in der Fremde eine andere zu sein. Furcht überfiel Ada. Die Furcht, dass ihr neues, noch so zerbrechliches Ich mit ihrer Rückkehr nach Hause keinen Bestand hätte. Dass sich in ihrem Leben niemals wirklich etwas ändern würde.
»Ich wünschte, ich könnte Stevie schon vor dem Wochenende sehen«, murmelte sie und streichelte Gladdy über den Rücken, was er ihr mit eifrigem Klopfen der Rute auf den Rasen vergalt. Grace war ihr immer mehr als nur eine Schwester gewesen; Freundin sogar und Verbündete. Und doch gab es eine Seite an Ada, die nur Stephen wirklich verstand.
»Wie spät ist es jetzt?« Grace wippte mit dem Fuß unter dem Tisch.
Becky sah auf die kleine silberne Uhr, die sie an einer langen Kette um den Hals trug. »Gleich Viertel vor drei.«
Grace zwinkerte ihrer Schwester zu, Schalk und Unternehmungslust im Blick. »Wenn wir uns beeilen, können wir noch zum Rugby in Sandhurst sein.«
»Danke, Ben.«
Schwungvoll stieg Grace auf den Wagen, ließ sich auf dem Lederpolster nieder und nahm Ben die Zügel aus der Hand. Der Kutscher half danach erst Ada, dann Becky in den kleinen zweirädrigen Wagen mit geöffnetem Verdeck. Der Tilbury aus dembescheidenen Fuhrpark der Norburys war zwar alt, aber dank Bens Pflege tadellos in Schuss. Wendig und leicht, durch die übergroßen Räder höllisch schnell, war er jedoch nur für zwei Personen gedacht, sodass die Mädchen unter viel Gekicher erst einmal auf dem Sitz herumrutschten, bis sie halbwegs bequem und vor allem sicher saßen.
Ben verriegelte das Gepäckfach am Heck des Tilbury, in dem die Mädchen zuvor ihre Hüte und Handtaschen verstaut hatten, und kam wieder hinter dem Gefährt hervor.
»Ich hol Sie und Sir William dann heut Abend mit dem großen Wagen in Sandhurst ab, Miss Ada.«
Während Stephen wie alle anderen Kadetten im Wohntrakt des Colleges lebte, aber wenigstens durch die räumliche Nähe die Möglichkeit hatte, die viel zu wenigen, viel zu kurzen Wochenenden, an denen er Ausgang hatte, zu Hause zu verbringen, ließ sich der Colonel morgens und abends von Ben ins gut zwei Stunden entfernte Sandhurst und zurück kutschieren.
»Ist gut. Danke, Ben.« Ada schenkte ihm ein aufgeregtes Lächeln, zappelig vor Vorfreude.
Er tätschelte die Kruppe des stämmigen Rappen, der unruhig mit dem Kopf nickte, und trat zurück, als Grace die Zügel nahm und mit der Zunge schnalzte. »Gute Fahrt.«
Der Wagen rollte an, knirschte durch den Kies des Innenhofs und durch die Einfahrt neben den Stallungen hinaus, bog auf den Zufahrtsweg vor dem Haus ein.
»Festhalten, Mädels«, rief Grace, stemmte die Füße fester in den Boden und gab dem Pferd die Zügel. »Los, Jack, los! Zeig uns, was du kannst!«
Das Pferd preschte los, die weite Biegung entlang, die zwischen alten Eichen hindurch und dann nach Norden führte. Ada stieß einen erschrockenen Laut aus. Es fühlte sich an, als würde der
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