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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Wagen in der Kurve umkippen. Vor Angst stockte ihr der Atem, und sie klammerte sich an Becky und an der Sitzlehne fest.
    Erst als sie spürte, wie sicher Grace das Gefährt in der Spur hielt, konnte sie wieder Luft holen. Dennoch schlug ihr das Herz bis zum Hals, während die Wälder und die Flickenteppiche der Felder an ihnen vorüberschossen und die Kastanien mit ihren gerade aufbrechenden roten und weißen Blütenkerzen zu farbigen Schlieren zerflossen.
    Ada musterte ihre Schwester von der Seite her, wie sie die Unterlippe zwischen die Zähne zog, wenn sie sich besonders konzentrieren musste, und dann wieder befreit auflachte, wenn sie Jack ein Stück des Weges einfach laufen lassen konnte, und wie ihre Augen dabei glänzten. Ihr Innerstes krampfte sich schmerzhaft zusammen, als sie gewahr wurde, wie sehr sie Grace liebte. Wie könnte sie sie auch nicht lieben? Jeder liebte Grace, der alles im Leben nur so zuflog, auch die Herzen der Menschen.
    »Hast du gar keine Angst?«, rief sie ihrer Schwester ins Ohr, obwohl sie die Antwort ahnte.
    »Nur davor, dass ich zu langsam bin!«, gab Grace lachend zurück, ohne die Augen von der Straße abzuwenden.
    Der Wagen jagte auf ein frei stehendes Cottage zu. Ein betagter Mann in Hosenträgern über dem Hemd, eine Schildmütze auf dem nahezu kahlen Haupt, lehnte innen an der Umfriedungsmauer des Gartens und blickte müßig in die Landschaft hinaus.
    »Haaallo! Mr Jenkins!«, rief Grace.
    »Huhuuuu«, machte Becky und winkte ihm mit hochgereckter Hand zu.
    Der frühere Pächter der Norburys, der mittlerweile zu gebrechlich war, um den Boden zu bestellen, und der sich zugunsten seines Sohnes aufs Altenteil zurückgezogen hatte, hob eine seiner zitternden, abgearbeiteten Hände und zeigte sein nahezu zahnloses Greisenlachen.
    Ganz verlor Ada ihre Angst nicht bei dieser wilden Fahrt über Stock und Stein. Aber nachdem sie über die Brücke gepoltertwaren, die über den Wey führte, und an der Silhouette von Guildford vorbeigeflogen waren, gewann allmählich die Freude die Oberhand. Sie hatte vergessen, wie es war, an Grace’ Seite durch die Wiesen zu sausen, die Sonne im Gesicht, den Fahrtwind auf der Haut, der ihr Haar hinter ihr herflattern ließ.
    Die Wochen des Kummers im vergangenen Jahr und ihre Reise über den Kontinent, während der sie unter der fachkundigen und einfühlsamen Anleitung von Miss Sidgwick auf den Spuren der Dichter und Denker, der Maler und Bildhauer gewandelt war, hatten sie vergessen lassen, wie herrlich es war, so frei zu sein und so unbeschwert. So jung zu sein.
    Erst als sie von dem Feldweg abbogen, der sie an den Ortschaften Frimley und Camberley vorbeigeführt hatte, verlangsamte Grace das Tempo. Die langen Nachmittagsschatten des Waldes legten sich kühl auf ihre erhitzten Gesichter, und Jacks Hufe klapperten in munterem Trab durch die grüne Stille. Ein Häuschen am Wegesrand kam in Sicht, und obwohl der bewaffnete und uniformierte Wächter missbilligend dreinblickte, salutierte er und ließ sie ungehindert passieren.
    Während sich zu ihrer Linken der Wald fortsetzte, endete er auf der anderen Seite jäh und wurde von einer großen Wasserfläche abgelöst. Auf dem See, der halb in Surrey, halb in Berkshire lag, paddelte ein Trupp hemdsärmeliger Kadetten mit zwei Ausbildern auf einem Floß umher, das aus mit Seilen zusammengezurrten Fässern und Latten bestand. Eine andere Gruppe Offiziersanwärter war dabei, aus Balken und Brettern eine behelfsmäßige Brücke zu errichten.
    Der Tilbury rollte an einem Labyrinth aus Gräben und aufgeschütteten Wällen vorüber, in dem die Kadetten sich darin übten, Feldbefestigungen anzulegen. Einige der jungen Männer ließen die Schaufel sinken und reckten den Hals; einer von ihnen pfiff gar anerkennend durch die Zähne, worauf er von seinem Ausbilder einen Schlag mit der flachen Hand gegen den Hinterkopf erhielt. Der Kadett schob die Kappe zurück, die ihm dabei in dieStirn gerutscht war, und grinste den lachenden Mädchen zu.
    Majestätisch und stolz erstreckte sich vor ihnen das Royal Military College, ein lang gezogener, zweistöckiger und zweiflügeliger Bau, in Crème und Weiß gehalten und in den Farben des Königreiches beflaggt. Grace lenkte den Tilbury über den befestigten Vorplatz und hielt vor dem Portikus an. Zwischen den kannelierten Säulen erschien ein Unteroffizier und eilte die Stufen hinab, schlug vor dem Wagen die Hacken zusammen und salutierte kurz.
    »Guten Tag, die Damen.« Er hielt

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