Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Glas auf dem gedeckten Tisch im Garten. Über ihren Teller hinweg sah Ada immer wieder zum Haus hin, in dem sie geboren und aufgewachsen war. Außen wie innen war alles noch so, wie sie es in Erinnerung hatte und wie der Sohn jenes Captain Norbury es vor über hundert Jahren hatte erbauen lassen.
Schon von Weitem leuchtete die rote Backsteinfassade aus dem satten Grün der Rasenflächen und aus dem dunklen Laub der Eichen heraus. Ein Kontrast, der durch die weißen Rahmen der Sprossenfenster und die gleichfalls weißen Friese entlang der grauen Schindeldächer unter den zahlreichen Schornsteinen noch verstärkt wurde. Zweckmäßigkeit war der Grundsatz bei der Planung des Hauses gewesen. Hinter dem dreigeschossigen Haupthaus mit dem Eingangsportal umschlossen niedrigere Anbauten den lang gestreckten Innenhof, über den man jeden Raum des Hauses auf kürzestem Wege erreichen konnte.
Außen von männlicher Nüchternheit und eleganter Leichtigkeit, zeigte sich das Haus innen jedoch nahezu verspielt. Grün, Weiß und mattes Rot waren die vorherrschenden Farben, ergänzt von den unterschiedlichsten Hölzern, und Anker, Delphine und Fische, Muscheln und Tritonshörner, Nymphen und Neptungestalten schmückten Decken und Wandfriese, Treppengeländer und Säulen und erzählten von den Meeren der Welt.
Auch in Adas Zimmer mit den Rosentapeten, auf dessen Nachttisch zur Begrüßung ein Strauß Feldblumen neben einer Schachtel ihres Lieblingskaramells gestanden hatte, war alles unangetastet geblieben. Fremd hatte sie sich darin gefühlt mit ihrer Pariser Garderobe und ihr Reisekostüm sogleich gegen eines ihrer alten Sommerkleider getauscht. Ihr glattes braunes Haarmit den rötlichen Glanzlichtern, das sie am Morgen so sorgsam aufgesteckt hatte, hatte sie wieder gelöst, nur einige Strähnen am Hinterkopf zusammengenommen, damit sie ihr nicht ins Gesicht fielen. Ganz genau wie früher.
»Möchtest du noch ein Stück Pastete, Becky?« Constance Norbury deutete einladend auf die in Brühe eingeweichten Steinpilze, die klein geschnittenen und mit Zwiebeln und Minze gewürzten Lammkoteletts und Lammnierchen in ihrem Teigmantel, von Kindheit an Adas Leibgericht und von Köchin Bertha als Willkommensgruß an das heimgekehrte Nesthäkchen gedacht.
Beckys grün und braun gesprenkelte Augen lösten sich nur widerstrebend von den Resten auf der Servierplatte. »Vielen Dank, Lady Norbury. Sonst passe ich am Samstag womöglich nicht mehr in das neue Kleid.«
Ada schluckte den letzten Bissen hinunter, eine perfekte Mischung aus Pastete, Kartoffelbrei und Möhrchen. »Was ist am Samstag?«
»Die Hainsworths haben für das Wochenende nach Givons Grove eingeladen.« Grace trank einen Schluck und stellte ihr Wasserglas ab. »Nichts Großartiges, nur Freunde und Nachbarn.«
»Darf ich mit, Mama?«
Tapfer hielt Ada den überraschten Blicken dreier Augenpaare stand.
»Aber du wolltest doch früher nie –«, platzte Becky heraus, was in ihrer unverkennbaren hohen, schmeichlerischen Stimme zuckersüß klang und weich wie Buttertoffee.
»Ich habe meine Meinung eben geändert«, fiel Ada ihr ungewohnt trotzig ins Wort. Grace’ Finger, die sich mit festem Druck um die ihren schlossen, ließen ein glückliches Flattern in ihrem Bauch aufsteigen. Offenbar hatten die Monate im Ausland das kleine Wunder bewirkt, das sie alle erhofft hatten. Die Zeiten, in denen Ada sich ängstlich an den Rockzipfel von Mutter und Schwester gehängt, sich hinter dem Rücken von Vater und Bruder versteckt hatte, würden ab heute ein für alle Mal der Vergangenheit angehören.
»Natürlich darfst du mit«, erwiderte Constance Norbury. »Lord und Lady Grantham werden entzückt sein.« Zärtlich ruhte ihr Blick auf ihrer Jüngsten, bevor sie zur Teekanne griff.
Ada legte ihr Besteck beiseite, lehnte sich mit vollem Magen zurück und nahm die Serviette vom Schoß, ein Augenblick, auf den Gladdy nur gewartet hatte. Aus dem Welpen, der damals mit einer Handvoll Wasser aus dem Cranleigh auf den Namen des alten – und mittlerweile neuen – Premierministers Gladstone getauft worden war, war ein betagter Setter geworden, der nun seine weiß gestromerte Schnauze von dem Speichelfleck auf Adas Knie hob und den Kopf weiter oben wieder ablegte. Ada war kaum aus der Kutsche ausgestiegen, als Gladdy durch den aufstiebenden Kies auf sie zugeschossen war, an ihr hochsprang und sich jaulend im Kreis drehte und seitdem keinen Augenblick von ihrer Seite wich. Tabby hingegen, die
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