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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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hinein in das dahinterliegende Dorf. Die zweite Hälfte fing den Ansturm der Mahdisten ab. Die Infanteristen sprangen aus dem Sattel, wie man es ihnen für diese Art von Kampf beigebracht hatte, und warfen sich in die Schlacht. Mann gegen Mann, Schwarz gegen Weiß, Klinge gegen Klinge, Speer gegen Bajonett gegen Gewehrkugeln.
    Fünf Sekunden . Fünf Sekunden war das Minimum an Zeit, um ein Martini-Henry nachzuladen und Jeremy Danvers’ persönliche Messlatte. Eins: Hebel ziehen, mit so viel Schwung, dass die Hülse von selbst herausrutscht. Zwei: Patrone aus dem Gurt holen. Drei: Einlegen und mit dem Daumen bis zum Anschlag hineindrücken. Vier: Hebel zurückschwenken. Fünf: Anlegen. Zielen. Ausatmen. Und Schuss.
    Pulverdampf stand als dichter Teppich über dem Schlachtfeld und mischte sich mit aufgewirbeltem Sand und brannte in den Augen. Schuss. Treffer. Fünf Sekunden. Gesichter verschwammen zu unkenntlichen Schlieren. Es gab nur eine Unterscheidung: helle Haut und buntes Tuch – Freund. Schwarze Haut – Feind. Schuss. Treffer. Fünf Sekunden. Helles Gesicht über blauer Jacke, auf die eine schwarze Gestalt mit bluttriefender Klinge einhieb. Schuss. Treffer. Fünf Sekunden. Die Erde erzitterte, die Luft geriet ins Schwanken, als die Kavallerie herangaloppierte und einer in einer Staubwolke fliehenden Horde von Mahdisten nachsetzte. Aus der Ferne Schüsse. Schreie. Zielen. Ausatmen. Schuss. Treffer. Fünf Sekunden.
    Langsam, langsam legte sich der Schlachtenlärm. Das Signalhorn schmetterte eine Fanfare. Vorbei. Es ist vorbei. Keuchend ließ Jeremy sein Gewehr sinken und sah sich um, noch immer auf der Hut. Langsam löste sich der Rauch auf, gab den Soldaten wieder Gesichtszüge. Gab den Blick frei auf die Pferde und die Kamele und auf die schmauchenden Geschütze. Auf die Verwundeten, die am Boden lagen, auf die Sanitäter und Ärzte, die das Schlachtfeld durchkämmten. Die Weißen in ihren bunten Uniformen waren von Schwerthieben durchbohrt und verstümmelt. Die Körper der Schwarzen waren zerfetzt von Gewehrkugeln, mit versengten Wundrändern, die manchmal noch qualmten. So viele Tote im Sand, der rot getränkt war und glitschig von Blut.
    Befreit ließ Jeremy den nächsten Atemzug aus seinem Körper strömen, als er Stephen sah, barhäuptig und zerzaust, aber offenbar unverletzt. Stephen tat ein paar schwankende Schritte auf wackeligen Beinen, schritt dann fester aus und hastete zwischen den Leichen hindurch, fort, nur fort.
    Jeremy schüttelte kräftig den Kopf, rieb sich mit dem Handrücken über die brennenden Augen.
    »Stevie!«, brüllte er aus Leibeskräften und lud nach, rannte los, hinter Stephen her.
    Gereizte Müdigkeit im Blick, wandte Stephen sich um. Dunkle Finger krallten sich um seinen Knöchel, brachten ihn aus dem Gleichgewicht. Das Bajonett seines Gewehrs verhakte sich im Boden, und er fiel hin, auf weiche, noch warme Leiber, lähmendes Entsetzen im verrußten Gesicht. Der Schwarze, der seinen Stiefel umklammert hielt, bäumte sich auf und holte mit dem Speer aus. Ein Schuss zerriss seine magere, knochige Brust, Blut spritzte auf, und er sackte leblos zu Boden. Noch im vollen Lauf lud Jeremy nach und jagte dem Krieger eine zweite Kugel in den Leib.
    Stephen riss sein Bein aus der Umklammerung los. Sein Atem ging krampfhaft und keuchend, während er rückwärtskroch wie ein Skorpion ohne seinen Giftstachel und sich mit schreckgeweiteten Augen umsah, als würde er erst jetzt begreifen, was geschehen war. Einzelne Schüsse krachten noch über das Schlachtfeld, streckten weitere Krieger des Mahdi nieder, die sich tot gestellt hatten, um in der Stille nach dem Sturm noch den einen oder anderen Weißen abzustechen.
    »Oh Scheiße«, knurrte Jeremy, als Stephens Wangen sich aufblähten und ein heftiger Ruck nach dem anderen durch seinen Körper fuhr. Jeremy packte ihn am Kragen seines Uniformrocks, zerrte ihn hoch und zog ihn mit sich zu dem Erdwall, an eine Stelle, die man vom Schlachtfeld aus nicht so leicht einsehen konnte. Kaum hatte er ihn losgelassen, fiel Stephen auf alle viere und erbrach sich so heftig, als triebe es ihm die Eingeweide den Rachen hinauf.
    Jeremy trat ein paar Schritte zur Seite und rammte sein Gewehr mit dem Lauf nach oben in den Boden. Aus der Jackentasche zog er eine Zigarette heraus, steckte sie sich zwischen die Lippen und suchte nach Feuer. Endlich fand er in der Hosentasche ein paar Zündhölzer und riss eines an. Mit zitternder Hand hielt er die Flamme an die

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