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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Vor allem diesen einen Jungen kann ich nicht vergessen, schwarz und dürr wie ein verkohlter Zweig, den die Sanitäter verletzt aufgelesen und versorgt haben und der sogleich nach dem Bajonett eines Soldaten griff. Sie banden ihn auf der Trage fest, und als ihm der Kaplan Wasser zu trinken gab, spie er es ihm ins Gesicht. Irgendwann später am Tag konnte er sich von seinen Fesseln befreien und einen Speer packen. Im letzten Moment schlug einer unserer Männer ihn nieder, bevor er einen von uns damit aufspießen konnte. Am Abend starb der Junge, nachdem er zu viel Blut verloren hatte, und bis zuletzt tobte er und schrie seinen Hass gegen uns heraus. Dieser Hass, dieser unmenschliche Hass – der erschüttert mich am meisten, mehr noch als der Akt des Tötens an sich. Vielleicht bin ich undankbar, vielleicht bin ich einfach ein elender Feigling – aber alles andere kann nur besser sein als das ...
    Jeremy trat hinaus auf die Galerie, die an der Hauswand noch im Schatten lag, am Geländer jedoch bereits von einem scharf abgegrenzten Band heißen Sonnenscheins überzogen wurde. Schmerzhaft hell warf der Innenhof das späte Nachmittagslicht zurück, das auf dem Nil Funken sprühte und sich weich über die Baumkronen der Gärten drüben auf al-Gazirah ergoss. Das Brausen und Summen Cairos drang von der anderen Seite her in die Kaserne, und Jeremys Mund verbreiterte sich zu einem halben Lächeln. Es war gut, wieder hier zu sein, in Qasr el-Nil, in Cairo. Es war nicht ganz so, wie nach Hause zu kommen, aber doch beinahe. Er ging die Galerie entlang, bog in das enge, dämmrige Treppenhaus ab und lief eilig die Stufen hinab. Drei Offiziere, ungefähr in seinem Alter und im schwarz abgesetzten und mit Messingknöpfen besetzten Mohnrot der Coldstream Guards, kamen ihm entgegen. Die Coldstreams, ein altes und ehrenvolles Regiment der Infanterie, hatten sich in der Schlacht von Tel el-Kebir verdient gemacht und waren von Anfang an in Alexandria und zuletzt in Suakin dabei gewesen, hatten aber kaum engere Verbindung zum Royal Sussex gepflegt. Jeremy nickte ihnen deshalb nur flüchtig zu und setzte seinen Weg fort, auch als er aus den Augenwinkeln sah, wie die Offiziere auf halber Treppe stehen blieben, und er sie flüstern hörte.
    »Mich laust der Affe«, stach ihm eine Stimme zwischen die Schulterblätter, die ihm in ihrer säuerlichen Bissigkeit nicht unbekannt war. »Wen haben wir denn da?«
    Jeremy blieb stehen. Einen Moment lang wollte er einfach weitergehen, doch dann besann er sich anders und drehte sich um. »Sieh an – Freddie Highmore.«
    Die wässrig blauen Augen in dem sommersprossigen Gesicht wurden schmal. » Lieutenant Highmore, wenn ich bitten darf!«
    Jeremys Mundwinkel kerbten sich ein. Er stellte ein Bein auf die nächsthöhere Stufe. »Wie kommst du denn hierher? In dieser Uniform? Hatten sie dich nicht in ein knüppelbewehrtes Bauernregiment gesteckt?«
    Highmores magere Augenbrauen hoben sich blasiert. »Jeder, wie er’s verdient, nicht wahr, Danvers? Und ich hatte es verdient, zu den Coldstreams zu wechseln. Frisch aus England via Alexandria hier eingetroffen.« Er holte tief Atem, warf sich in die Brust und schlug sich mit der flachen Hand selbstgefällig auf den Uniformrock.
    Jeremy zog die Luft mit einem zischenden Laut durch die Zähne. »Dafür hat dein alter Herr ja sicher tief in die Tasche greifen müssen.« In einer lässigen Geste legte er den Unterarm auf das angewinkelte Knie.
    Highmores Blick fiel auf die beiden Streifen eines Captains, und sein Mund verzog sich abfällig. »Hätte ich gar nicht gedacht, dass Norbury, der alte Tyrann, so gute Verbindungen hat. Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass er es einem so reichlich lohnt, wenn man es mit seinem Töchterlein treibt, hätt ich sie mir auch mal vorgenommen. Einen willigen Eindruck hat sie ja durchaus gemacht.«
    Jeremys Augen verdunkelten sich und bekamen einen gefährlichen Glanz. Heiser raunte er: »Überspann den Bogen nicht, Highmore.« Er richtete sich wieder auf und nahm den Fuß von der Stufe. »Hier in der Kaserne stürzt man sich gewiss gierig auf das Gerücht, du kriegst womöglich keinen hoch.«
    Highmore schnaufte auf und schnellte vor, wollte sich auf Jeremy stürzen; die anderen beiden Coldstreams packten ihn an Schultern und Oberarmen und hielten ihn mit aller Kraft zurück.
    »Das zahl ich dir heim, du Kanalratte«, hörte er Highmore hinter sich brüllen, während er die Treppe hinabstieg. »Doppelt und dreifach! Hast

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