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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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einer Fata Morgana glich, vielleicht auch einem Fiebertraum, als sich aus dem Morgendunst all die Farben schälten, Scharlach, Khaki, Marineblau, Tannengrün, das grelle Weiß von Helmen und Gurten. Ein schmerzhaft buntes Bild in der leeren Landschaft wie aus zusammengeschüttetem Maismehl, noch greller im gleißenden Licht der hervorbrechenden Sonne. Wie ein Ameisenstaat bewegten sie sich vorwärts, in der akkuraten Formation eines Karrees mit starken, ausgedehnten Flanken. Kein Marsch in strammem Stechschritt war es jedoch, sondern ein lockeres Ausschreiten, die Gewehre lässig geschultert, im Takt der Trommeln und Pfeifen der in vorderster Linie aufgereihten Gordon Highlanders in ihren grauen Jacken und grünen Kilts. Eine Musik, die etwas verhalten Drohendes hatte, eine Gefahr verkündende Schrillheit und die dennoch munter und gut gelaunt wirkte. Wie Schatten tänzelten zu beiden Seiten die Husaren in kleinen Gruppen einher, und die Hufe der Pferde wirbelten Wolken aus pfefferhellem Staub auf. Vorwärts, vorwärts, auf die Hügel und die Befestigungsgräben zu, bewacht von über die Landschaft verteilten Kundschaftern des Mahdi, aus der Ferne als weiße Kommata mit schwarzen Stecknadelköpfchen zu sehen, vorwärts zur Oase von el-Teb.
    Auf seiner zugeteilten Position hinter dem Karree, zwischen seinen Männern, den anderen Trupps des Royal Sussex und der berittenen Infanterie und einem Kavallerieverband, auf seinem Pferd, das in gleichmäßigem Schritt ging, wandte Jeremy den Kopf und sah zu Stephen hin, der ihm ihre gestrige Auseinandersetzung immer noch übel nahm. Einsilbig hatte er sich seither gegeben und die Blicke des Freundes gemieden. Jeremys Mundwinkel spannten sich an, und er sah wieder geradeaus. Wenigstens scheint ihm die Wut auf mich Kraft zu verleihen; so entschlossen hat er all die Monate noch nicht gewirkt.
    Im nächsten Moment zuckte er zusammen, genau wie alle anderen, als es hinter ihnen donnerte und hallend krachte – obwohl sie wussten, dass es ihre eigenen Geschütze waren, die von Bord der Sphinx in der Lagune Punkt neun Uhr dreißig das erste Sondierungsfeuer eröffneten. In einem hohen Singen und Jammern flogen die Wuchtgeschosse über ihre Köpfe hinweg, landeten mit einem dumpfen Schlag im aufspritzenden Sand vor den Highlandern am vorderen Rand des sich unablässig weiterschiebenden Karrees. Thump. Thump. Gefährlich nah an den Husaren. Thump. Thump. Viel zu nah; das Feuer wurde eingestellt.
    »Berittene Infanterie – vorwäärrtsss!«
    Das Kommando, auf das sie gewartet hatten. Mit ihren Männern scherten Leonard, Royston, Simon, Stephen und Jeremy aus, gaben den Pferden die Sporen und preschten unter Hufgedonner an den Seiten des Karrees entlang. Ihre Khakiröcke mischten sich unter die Farben der anderen Regimenter. Wie bunte Pfeile, von Hunderten Händen zugleich durch die Schwaden aus Sand und Staub geschleudert, jagten sie, aus voller Kehle brüllend, auf die Kundschafter des Mahdi zu. Sie sahen die dunklen, flachen Gesichter der Hadendoa, grimmig verzogen, und das zu gekrausten Wolken aufgetürmte Haar. Sie sahen die in der Sonne aufblinkenden Speerspitzen, die auf sie gerichteten Gewehrläufe. Keinen Inch wichen die Krieger aus, und keiner schien auch nur an Flucht zu denken.
    »Rückzuuug!«
    Scharf wendeten sie ihre Reittiere und galoppierten wieder in die entgegengesetzte Richtung, zurück auf ihre ursprüngliche Position.
    Die Husaren übernahmen den weiteren Vorstoß und preschten voraus, auf die in ihren Gräben kauernden Mahdisten zu, hin zu dem Fort, in dem diese sich verschanzt hielten, an die Stelle,an der Baker Pasha zuvor gescheitert war. Gewehrschüsse knallten von dort, Rauch stieg auf, aber die Husaren waren zu schnell, schnell wie farbige Blitze, die sogleich wieder auf das Karree zuflogen und erneut wegsausten, ein flügelschlaggleicher Erkundungsritt nach dem anderen. Durch den widerlich süßlichen Gestank der verwesenden Leichen, die zu Hunderten herumlagen, das Gesicht nach unten, von Speeren und Schwertklingen auf der Flucht von hinten niedergemäht – die ägyptischen Truppen Baker Pashas, eine Handvoll europäischer Toter dazwischen, und die rabenähnlichen Vögel, die sich an deren Fleisch labten, ließen sich nur kurz verscheuchen, flogen unter Flügelrauschen auf und sanken gleich darauf als dunkle Wolke erneut auf den Leichenacker nieder.
    Eine kurze Verschnaufpause, dann setzte sich das Karree wieder in Bewegung, unter dem Klang der Trommeln

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