Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Zigarette und sog den Rauchso tief ein, dass er husten musste. Auf einer kleinen Kuppe des Abhangs ließ er sich nieder, fuhr sich mit den Händen durch das nass geschwitzte, verklebte und staubige Haar und blinzelte in das Licht des frühen Nachmittags, grell zurückgeworfen vom Sand und von den Steinen und von kantigen Schatten unterlegt. Keine zwei Stunden hatte die Schlacht von el-Teb gedauert.
Drei Gestalten bewegten sich auf ihn zu: Royston, die Hand auf Simons Schulter, der vorwärtstaumelte und sein Martini-Henry mit sich schleifte, das mit dem Bajonettaufsatz beinahe so lang war wie er, und ein Stück dahinter Leonard. Keiner sagte ein Wort, als sie zu ihm traten, ihre Gesichter speckig und dreckverschmiert und müde, so müde. Simon, die Augen groß und dunkelgrau wie Gewitterwolken, war blass um Mund und Nase, und über Wange und Kinn zogen sich rot gesprenkelte Schürfwunden. Royston wirkte aschfahl; der Ärmel seines Uniformrocks und sein Hemd waren aufgeschlitzt und blutgetränkt, die Stichwunde an seinem Oberarm von getrocknetem Blut dunkel verkrustet. Selbst Leonards ewiges Lächeln war ausradiert.
Sie legten ihre Waffen weg, und Royston holte aus seinem Uniformrock einen silbernen Flachmann hervor, schraubte die Kappe ab und hielt ihn Simon hin. Dankbar nahm Simon ihn entgegen und trank einen kräftigen Schluck, bevor Royston selbst den Flachmann ansetzte und ihn erst Leonard, danach Jeremy in die Hand drückte. Der gab die Flasche Stephen weiter, der auf dem Hosenboden heranrutschte und in stummer Aufforderung die schlackernden Finger nach Jeremys nur noch daumennagellanger Zigarettenkippe ausstreckte. Jeremy warf sie weg und zündete ihm stattdessen eine neue an und sich selbst umgehend die nächste, und auch Leonard, Simon und Royston klemmten sich Zigaretten zwischen die Lippen, steckten sie sich mit zitternden Händen an.
Simon lehnte sich an den Abhang, rutschte in die Hocke und vergrub den Kopf in den Händen.
»Scheißescheißescheißemann«, murmelte er.
26
Capt. J. Danvers, 1. Batt. R. Sussex, 4. Inf. Brig. Maj. Gen.
Sir Evelyn Wood, Qasr el-Nil
Cairo, den 8. Mai 1884
Liebe Grace,
hab vielen Dank für Deine Glückwünsche zu unserer Beförderung, die ich weitergeben werde an die Lieutenants Norbury, Ashcombe und Digby-Jones und ebenso an Captain Hainsworth. Und wir haben noch eine weitere Auszeichnung erhalten: den Stern des Khediven, eine Spange mit dem Schriftzug »el-Teb« für das Band unseres ersten Ordens.
Natürlich habe ich nicht wirklich geglaubt, Du würdest Dich mit meiner knappen Nachricht zufriedengeben, dass wir beide Schlachten unbeschadet überstanden haben. Das entspräche wahrhaftig nicht der Grace, an die ich mich erinnere. Sieh’s mir bitte nach.
Meine Briefe an Dich müssen Dir gewiss sehr karg und einfallslos vorkommen, vor allem wenn ich mitbekomme, wie viel Stephen Dir und Ada jedes Mal zu erzählen weiß. Abgesehen von meiner äußerst beschränkten Fähigkeit, Eindrücke und Ereignisse in lebendige Worte zu kleiden, widerstrebt es mir zudem, gedanklich länger in el-Teb und in Tamai zu verweilen als nötig. Und auch wenn ich weiß, dass Du niemand bist, der nach besonderer Schonung verlangt, gibt es einfach Dinge, die ich Dir nicht zumuten will. Punkt.
Aber ich fürchte, damit stachle ich Deinen Widerspruchsgeist erst recht an, nicht wahr? (Ist Dein Deutsch schon so gut, dass Du Goethe im Original lesen kannst? Ich bin der Geist, der stets verneint. Sie sind durchschaut, Miss Norbury. Nicht nur vom alten Goethe.)
Dass der Krieg ein blutiges Handwerk ist, wissen wir beide, Grace. Und sowohl el-Teb als auch Tamai zwei Wochen später waren äußerst blutig. Ich könnte Dir nur unzureichend beschreiben, welch ein Anblick es ist, wenn zehntausend dieser Krieger in blinder Raserei auf einen zustürmen und man sich im Kopf unweigerlich ausrechnet, dass mehr als zwei von ihnen auf einen von uns kommen. Und ich kann auch schlecht beschreiben, was man bei dem Gedanken empfindet, dass nur eines gilt: Entweder sie überleben oder wir. Für jeden Feind, der stirbt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr von uns überleben. Der Soldat, den man befehligt und der einem vertraut, die Vorgesetzten, die anderen Regimenter, der alte Freund und nicht zuletzt man selbst. Das ist das Letzte, woran man noch denkt, dann handelt man nur noch.
Jeremy hielt inne und sah zu Stephen hinüber, der sich tief über den Tisch gebeugt hielt und die Seiten seines Notizbuches mit
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