Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
an, als sie ein Donnerkrachen aus der Stadt hörten, deren Saum aus locker hingetupften Hütten sie schon fast erreicht hatten. Sie brachten ihre Kamele zum Stehen, während weitere grelle Schläge herüberdröhnten. Beide starrten zu der Rauchwolke hinüber, die über den niedrigen Häusern aus rötlichen Ziegelmauern aufstieg, sahen Menschen zwischen den Hütten umherwimmeln.
»Nichts Gutes«, erwiderte Abbas mit finsterer Miene. »Wir kehren um.«
»Nein!« Grace zuckte selbst zusammen unter der Grellheit ihres Schreis. »Nein, Abbas, bitte nicht!«
»Einen Tag oder zwei, bis alles wieder ruhig ist«, versuchte er sie zu beschwichtigen.
»Nein, Abbas«, blieb Grace beharrlich. »Ich halte das keinen einzigen Tag länger aus!«
Seine Pranke wies auf die Stadt vor ihnen, die sich sichtlich in Aufruhr befand, und auch in Abbas schien ein Sturm aufzuziehen. Seine Stirn umwölkte sich, und er kniff die Augen zusammen »Mir schenkt dort heute keiner Gehör!«
»Bitte«, flüsterte Grace.
Abbas senkte den Blick und murmelte eine lange Tirade auf Arabisch, die nicht sonderlich freundlich klang, ließ dann aber zu Grace’ grenzenloser Erleichterung sein Kamel in die Knie gehen und auch das dahinter angebundene Lastenkamel.
»Wie heißt dein Freund?«, wollte er wissen, nachdem Grace ebenfalls abgestiegen war.
»Ich komme mit«, rief sie eifrig und hängte sich ihre Tasche um.
Abbas fuhr herum und packte sie bei den Schultern. »Nichts wirst du! Nicht, wenn ein solcher Aufruhr herrscht! Ich gehe – oder keiner.«
Grace senkte den Kopf und schluckte, blinzelte die ersten Tränen der Enttäuschung weg. »Jeremy«, flüsterte sie schließlich. »Er heißt Jeremy. Captain Jeremy Danvers.« Sie suchte in ihrer Tasche und zog die mittlerweile angeschmutzte und zerknitterte Photographie heraus, hielt sie Abbas hin und deutete mit dem Finger auf Jeremy. »Das hier ist er.«
Abbas knurrte und riss ihr die Photographie aus der Hand. »Hast du noch Geld?«
Grace nickte und zog den Beutel hervor, aus dem Abbas sich großzügig bediente.
»Hast du deine Waffe bei dir? Ist sie geladen?«, fragte er dann, und wieder nickte Grace und klopfte sich auf die Hüfte, wo sie den Revolver im Hosenbund trug. Abbas drückte sie unsanft in die Hocke nieder. »Du sitzt hier, bis ich zurück bin. Du gehst nicht weg und sprichst mit niemandem. Du lässt dir die Kamele nicht stehlen und nichts von den Sachen. Schießen nur in der Not. Verstanden?!«
Grace konnte einmal mehr nur nicken. Sie fühlte sich wie ein zu Unrecht gescholtenes Schulmädchen, und in ihr rangen Stolz, Widerspruchsgeist und Angst und das Vertrauen, das sie zu Abbas gefasst hatte, und zittrige Aufregung durchzog sie ebenso wie eine ungestüme Hoffnung. Abbas brummte etwas auf Arabisch, und die Hand am Gurt seines umgehängten Gewehres stapfte er davon, in Richtung der Hütten und Häuser von Omdurman.
Sie setzte sich auf den Boden und sah ihm nach, bis ihr Nacken steif wurde und schmerzte, dann wickelte sie sich tiefer in ihrenSchal und versuchte sich in Geduld zu üben. Ihre Knie begannen zu zittern, und sie umschlang sie fest, kauerte sich tiefer und tiefer zusammen, um sich selbst zu beruhigen. Bitte, lieber Gott, mach, dass er Jeremy findet! Mach, dass er Jeremy findet, heil und gesund! Wenn er noch am Leben ist ... wenn er überhaupt dort ist ... Der Gedanke an Jeremy war die ganze kräftezehrende Reise über ihr Leitstern gewesen, hatte sie alles aushalten, alles erdulden lassen, und die bloße Vorstellung, dass sie den ganzen weiten Weg für ein Hirngespinst auf sich genommen hatte, schnürte ihr die Luft zum Atmen ab. Sie wusste nicht, wie sie dann den Rückweg überstehen sollte, noch einmal die ganze Strecke mit all den Mühen und Anstrengungen, aber ohne Hoffnung im Herzen, die Kraft gab und Mut und Ausdauer. Und sollte Abbas in den nächsten Stunden etwas zustoßen in Omdurman, wäre sie verloren.
Ich bitte dich, lieber Gott, lass das alles nicht umsonst gewesen sein! Ich flehe dich an, gib ihn mir zurück! Ich flehe ... ich flehe um dein Mitleid ... Du, einzige Liebe. Vom Grund der finstern Schlucht, auf den mein Herz gestürzt. Ich flehe – ich flehe ...
Abbas kam nicht weit in die Stadt hinein. Immer noch irrten verängstigte Menschen umher und rempelten ihn an, doch er stieß sie einfach weg. Derwische, die Speere drohend erhoben, die Schwerter gezückt, versuchten die Menschen in der Stadt unter Gebrüll und Schlägen zur Ordnung zu zwingen.
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