Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Schulter zu. »Aber ich weiß, dass wir ihm vertrauen können.«
Jeremy erwiderte nichts darauf, aber Grace spürte, wie sich jeder Muskel seines Körpers anspannte. Sein Arm drückte immer fester zu, bis sie kaum mehr Luft mehr bekam. Grace keuchte auf und riss an seinem Arm, doch Jeremy lockerte den Druck nicht.
»Das ist das Tal von Abu Klea«, sagte Jeremy dann tonlos.
Erst als sie fast das Ende des Tals erreicht hatten, ließ Abbas sie anhalten und absteigen. Bestürzt sah Grace, wie Jeremy einfach davonstapfte, ohne ein Wort wie unter einem Bann, mit steifen, wie abgehackt wirkenden Schritten, dorthin, wo es auf dem Boden weißlich aufschimmerte. Sie zögerte kurz und wollte ihm folgen, doch Abbas’ mächtiger Leib versperrte ihr den Weg.
»Du bleibst hier.«
»Ich muss zu ihm«, murmelte Grace und wollte an ihm vorbei, doch er packte sie grob am Arm und hielt sie fest.
»Du bleibst hier!«
»Lass mich los!« Grace wand sich unter seinem Griff, doch Abbas lockerte ihn nicht; vielmehr packte er auch noch ihren anderen Arm. »Lass mich!« Sie wollte sich losreißen und trat ihn vors Schienbein, konnte sich aber nicht befreien; seine kräftigen Finger gruben sich so tief in Grace’ Fleisch, dass sie vor Schmerz aufheulte.
»Feuer bekämpft Feuer«, herrschte er sie an. »Das ist sein Weg und nicht deiner!«
Voller Zorn und Bangigkeit sah sie Jeremy hinterher, wie er zielstrebig durch das Tal marschierte, auf eine der Bergflanken zu, wie er dann langsamer wurde und ins Taumeln geriet. Schließlich fiel er auf die Knie und kauerte sich auf dem Boden zusammen. Es zerriss Grace das Herz, das mitansehen zu müssen und nichtstun zu können; dazu verdammt zu sein, auf der Stelle auszuharren, in Abbas Umklammerung. Eine kleine Ewigkeit lang, in der Abbas immer wieder über die Schulter zu Jeremys zusammengesunkener Gestalt hinsah.
»Jetzt kannst du gehen«, sagte er schließlich rau und ließ sie unvermittelt los. »Wenn du es ertragen kannst.«
Grace’ Stirn zerfurchte sich fragend, beinahe verständnislos, dann schüttelte sie den Kopf und rannte los, so schnell sie konnte.
Sie begriff schnell, was Abbas gemeint hatte. Als würde die Luft, die sie umgab, nach und nach zu einer gallertartigen Masse, verlor ihr Lauf an Schwung, obschon ihr Körper noch Kraft in sich hatte. Gleichgültig, wie sehr sie sich auch dagegenstemmte, sie kam kaum mehr vorwärts, ihre Schritte wurden zäh und schwer. Nur noch mit Mühe und mit ihrer ganzen Willenskraft konnte sie weitergehen. Als ihr Blick auf die Steinhaufen fiel, Steinhaufen, unter denen britische Soldaten ihre gefallenen Kameraden begraben hatten, wie damals Royston und Leonard Simon begraben hatten, und als sie dann die ersten mit leeren Augenhöhlen grinsenden Totenschädel sah, die sonnengebleichten Rippen, Speichen und Ellen, die Wirbel und die Schalen von Beckenknochen, wusste sie, warum. Über diesem Ort lag der Hauch des Todes, das Echo des Grauens und des Sterbens, und die Luft war mehr als zwei Jahre später noch immer mit der Säure von Hass und Schmerz durchdrungen.
Grace biss die Zähne zusammen und schleppte sich zu Jeremy hin, der auf dem Boden hockte und ihr den Rücken zugekehrt hatte. Erst als sie fast bei ihm war, erlaubte sie ihren Knien, nachzugeben, und kroch das letzte Stück auf allen vieren. Behutsam legte sie ihre Hand auf seine Schulter, die unter seinen schluchzenden Atemzügen zuckte, und als er weder zurückwich noch ihre Hand wegstieß, schob sie die Hände unter seinen Achseln hindurch, schlang die Arme um seine Brust und presste ihre Wange an seinen Rücken. Bis er sich schließlich halb umwandteund sie an sich zog. Sie festhielt, so fest, dass er sie beinahe erdrückte, und gemeinsam weinten sie um ihren toten Freund, um all das Leid, das an diesem Ort seinen Ursprung gehabt hatte, und um die Zeit, die ihnen gestohlen worden war.
48
Barfuß sprang Grace über die dunklen Felsen hinweg, zu der Stelle, wo sie Jeremys Hemd, ihr Obergewand, ihre Unterhosen und eines ihrer Hemdchen nach dem Waschen in der Sonne zum Trocknen ausgebreitet hatte. Abbas stand mit dem Rücken zu ihr drüben bei den Kamelen, und Grace kauerte sich hin, zog sich rasch ihr altes Hemdchen aus und streifte sich das frisch gewaschene über. Sie stand auf und warf das noch feuchte Haar über die Schulter zurück, nahm dann das andere Hemdchen und machte sich auf den Weg zum Wasser hinunter, um es ebenfalls noch zu waschen.
Nach dem beschwerlichen Weg aus dem
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