Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Obwohl Abbas nicht das erste Mal in Omdurman war, war sein Gesicht keines, das als allseits wohlbekannt galt. Sein arabisches Blut war darin zu lesen, und das machte ihn zum Fremden in einer Stadt, in der alles Fremde von vornherein verdächtig war. Um sich selbst war Abbas nicht bang. Er fürchtete den Tod nicht; zu oft hatte er ihm ins Auge geblickt, und es war allein Allahs Wille, wann und wie das irdische Dasein endete. Doch vor der Stadt wartete Miss Grace auf ihn, die sich ihm anvertraut hatte, und Ehre und Gewissen verlangten von ihm, dass er sie heil und unbeschadet wieder nach Cairo brachte. Als er zum zweiten Mal den misstrauischen Blick eines Derwischs auf seinem Gesicht, auf dem umgehängten Gewehr spürte, wandte er sich ohne Eile, ohne Hast um und machte sich auf den Weg zurück. Auch wenn er wusste, welch bittere Enttäuschung er Miss Grace damit bereiten würde.
Jeremy wanderte weiter, weiter aus der Stadt hinaus, um die Nacht irgendwo da draußen zu verbringen, am Ufer des Nils, wo es mehr Wasser gab, als er jemals würde trinken können, und wo er so viel von Omdurman, vom Saier von sich abwaschen könnte wie möglich. Morgen würde er in die Stadt zurückkehren, würde versuchen, etwas zu essen zu beschaffen und ein Reittier. Vielleicht hatte Slatin recht und es war tatsächlich unmöglich, von Omdurman fortzukommen; Jeremy hatte keine genauen Entfernungen im Kopf, nur eine grobe Vorstellung von diesem Teil des Sudan, anhand der Karten, die er sich damals, in seinem früheren Leben, eingeprägt hatte, aufgrund der Wege, die er in diesem Land zurückgelegt hatte, als Offizier von Assuan über Korti nach Abu Klea und als Gefangener von Abu Klea nach Omdurman. Vielleicht hatte Slatin recht und Jeremy würde umkommen auf der Flucht, irgendwo in der Wüste elend verschmachten. Aber zumindest würde er dann als freier Mann sterben.
Er rieb sich mit dem Handrücken über die Augen, nahm dann den Ärmelsaum seiner djibba zu Hilfe, doch das hitzeflirrende Bild auf seiner Netzhaut blieb. Drei abseits des Weges auf dem kargen Boden kauernde Kamele, abgemagert und struppig, sichtlich erschöpft von einer langen Reise. Jeremy ging langsam darauf zu, überzeugt, mit dem nächsten Schritt würden sich die Tiere in Luft auflösen, weil sie nichts anderes waren als eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana, die seine Sinne, vielleicht auch sein verwirrter Verstand ihm vorgaukelten.
Doch die Kamele waren immer noch da, wandten die Köpfe hierhin und dorthin und glotzten gelangweilt mit plinkernden Augendeckeln in der Gegend herum. Jeremy war auf der Hut,witterte einmal mehr eine Falle und ging in einem weiten Bogen auf die Tiere zu, näherte sich schräg von hinten, um zu sehen, was sich hinter den Leibern verbarg, wer dort auf der Lauer liegen mochte. Mit dem nackten Fuß stieß er an einen dicken, trockenen Ast, und Jeremy bückte sich, hob ihn auf und wog ihn prüfend in der Hand, bevor er weiterging.
Eine Frau, das Haar und einen Teil des Gesichts verhüllt, hockte hinter den Kamelen auf der Erde. So kraftlos zusammengesunken, wie sie dasaß, schien es eine alte Frau zu sein, die zu überwältigen ihm keine Schwierigkeiten bereiten dürfte. Wie sie mit dem Oberkörper unaufhörlich vor und zurück wippte und dabei vor sich hin murmelte, war sie vielleicht auch eine Irre, die man hier ausgesetzt hatte. Jemand, der sich ins Reich der Dämonen, die den Verstand zerfraßen, verirrt und den Weg zurück nicht mehr gefunden hatte. Jenes Reich, das Jeremy nur allzu bekannt war.
Ich flehe um dein Mitleid, Du, einzige Liebe. Vom Grund der finstern Schlucht, auf den mein Herz gestürzt. Jeremy schüttelte unwillig den Kopf, um die Worte zu verscheuchen, die sich in sein Bewusstsein drängten, und mehr noch den Anflug von Mitgefühl, der in ihm aufstieg. Er packte den Ast fester und tat noch einen Schritt vorwärts.
Hinter ihm klickte es leise und trocken. Das unverkennbare Geräusch eines Gewehrs, dessen Hahn gespannt wird. Vorbei. Seine Finger öffneten sich, und er ließ den Ast zu Boden fallen. Langsam hob er die Hände und drehte sich ebenso langsam um. Ein Bär von einem Mann stand vor ihm, mindestens ebenso groß und kräftig wie Royston damals, von einer Hautfarbe wie Kaffee mit viel Milch. Das markige, bartlose Gesicht konzentriert zusammengezogen, visierte er ihn über den Lauf des Gewehrs an. Jeremys Mund krümmte sich zu einem spöttischen Lächeln.
»Schieß doch«, knurrte er ihn auf Englisch an, worauf
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