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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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zu Beginn, nicht schon an jenem Samstag im November, als Stephen ihn für das Wochenende aus Sandhurst mitgebracht hatte. Es hatte Zeit gebraucht, einen ganzen Winter und ein Frühjahr, bis sie es fühlte. Bis die vage Ahnung, was mit ihr geschah, zur Gewissheit wurde.
    Bitte nicht, Len.
    »Du legst dich wohl besser schlafen.« Jeremy hob die Frackjacke auf, ließ die ausgetrunkenen Gläser, die geleerte Flasche stehen und zog Stephen hoch. »Stell dich schon mal drauf ein, dass es dir morgen miserabel gehen wird.«
    Stephen brummte etwas Unverständliches, während Jeremy sich einen seiner schlaffen Arme um den Nacken legte und ihn eine Stufe nach der anderen hinaufschleppte.
    Ein Mädchen stolperte über die Türschwelle auf die Terrasse und wäre um ein Haar in die beiden hineingerannt: Ada, die Augen weit aufgerissen, rote Flecken in ihrem sonst kreidebleichen Gesicht.
    »Habt ihr Grace gesehen?«, quiekte sie. »Ich finde sie nirgends, und ich hab schon überall nach ihr gesucht!«
    Jeremy ruckte mit dem Kopf in Richtung Garten. »Ist vorhin mit Len dorthin verschwunden.«
    Ada nickte zitternd und rannte mit gerafften Röcken die restlichen Stufen hinunter.
    »Grace? Grace?« Je weiter sie sich vom Haus entfernte, desto schriller klang sie. »Gracie! Gracie! «
    Stephen wandte den schweren Kopf und sah ihr mit gefurchter Stirn hinterher. »’s war doch meine Schwessster!«, bekundete er mit träger Zunge und mit einer schlenkernden Bewegung seiner Hand. »Also, nicht die! D’annere!«
    »Gracie? Gra-ciieee!«
    Grace fuhr herum. Leonard packte sie bei der Hand, dass die Gänseblümchen zu Boden fielen, und sie liefen los, durch die Lücke in den Sträuchern hindurch, hinüber zum Garten.
    An der Ecke der Backsteinmauer stand Ada, geistergleich im hellen Schimmer der fließenden blassrosa Seide, die Arme in den passenden langen Handschuhen steif an den Körper gepresst und die Fäuste geballt.
    »Gracie!« Sie löste sich aus ihrer Erstarrung, flog auf ihre Schwester zu und umschlang sie mit aller Kraft.
    »Ads! Ads, Liebes! Was ist denn?«
    »Ich wusste nicht, was ich tun soll! Er stand die ganze Zeit nur da – und dann ... und dann ...«
    Grace strich ihr über das glühende Gesicht, und ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. »Beruhig dich, Ads. Erzähl mir langsam und der Reihe nach, was passiert ist!«
    Ada holte tief Atem, einmal, zweimal. »Er stand die ganze Zeit neben mir und hat kein Wort gesagt. Und ... und ich wusste auch nicht, was ich sagen soll. Und dann fragt er mich auf einmal, ob ich mit ihm tanzen will.«
    »Und dann?« Grace verzog das Gesicht. »Und wer denn überhaupt?«
    »Si... Simon«, stammelte Ada. »Ich wusste nicht, was ich antworten sollte! Mama wollt ich nicht fragen, und dich habe ich nirgendwo mehr gesehen!«
    Es fiel Grace schwer, nicht loszulachen. Ihre kleine Schwester in ihrem hübschen Pariser Abendkleid, die in die Fremde geschickt worden war, um ihre übergroße Schüchternheit zu überwinden, verlor die Fassung, weil ein junger Mann sie zum Tanzen aufforderte. Sie sah zu Leonard hinüber, der sich halbabgewandt hatte und hinter vorgehaltener Faust ebenfalls das Lachen unterdrückte.
    »Und deshalb schreist du den halben Garten zusammen?«
    Ada schob die Unterlippe vor, die bereits gefährlich bebte. »Ich darf doch eigentlich noch gar nicht in der Öffentlichkeit tanzen. Nicht vor meinem Debüt. – Oder etwa nicht?« Unsicher sah sie Grace an. Adas offizielle Einführung in die Gesellschaft war für den Herbst geplant, ein wichtiges Ereignis, das sorgfältiger Vorbereitung bedurfte.
    »Im Grunde stimmt das.« Grace brauchte nicht lange nachzudenken. »Aber da das heute ja eine Feier im kleinen privaten Kreis ist, hat bestimmt niemand etwas dagegen einzuwenden.«
    »Oh«, machte Ada erleichtert. Erst dann dämmerte ihr, spät, viel zu spät, wie sie sich aufgeführt hatte, und sie schlug die Hände vors Gesicht. »Oh nein. Wie stehe ich denn jetzt da? Ich hab mich doch völlig blamiert!«
    Grace löste Adas Hände vom Gesicht und fasste sie unter dem Kinn, wischte die ersten Tränen weg, die ihr über die Wangen liefen. »Alles halb so schlimm. Wir gehen jetzt wieder hinein und sorgen dafür, dass du mit Simon tanzt, ja?«
    An Grace’ Hand und begleitet von Leonard, ging Ada wieder die Stufen zur Terrasse hinauf.
    »Warte kurz.« In dem großflächigen Lichtviereck, das aus den Fenstern und Türen des Saales fiel, musterte Grace das Gesicht ihrer Schwester und

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