Jenseits des Protokolls
»Wulff-Tourismus« und ich fühlte mich dadurch noch mehr beobachtet als ohnehin schon. Mittlerweile aber winke ich jenen Herrschaften einfach freundlich zu, was denen dann zumeist peinlich ist und sie schnell verdutzt weiterradeln.
Wir wollten ein ganz normales Einfamilienhaus in einer ganz normalen Lage, mit netten Nachbarn und einer guten Infrastruktur. Was wir haben, ist eine gute Infrastruktur, sehr freundliche und verständnisvolle Nachbarn und ein eben fast normales Einfamilienhaus. Ich denke schon, dass Leander und Linus hier eine schöne Kindheit haben werden, so wie ich sie selbst erlebte. Daher wurde mir auch mulmig zumute, als sich für Christian eine riesengroße Chance ergab, wofür wir unser Zuhause verlassen mussten …
4 Die Wahl
Der Anruf von Angela Merkel kam an einem Dienstag, genauer gesagt am 1. Juni 2010, etwa gegen 14 Uhr. Einen Tag nach Horst Köhlers überraschendem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten. Angela Merkel erwischte Christian in diesem Moment in der Staatskanzlei in Hannover. Dass sie ihn als ihren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten erwog, verschwieg die Bundeskanzlerin. Sie machte es spannend, lud ihn noch für denselben Abend zu einem Gespräch nach Berlin ein. Christian rief mich sofort an. Ich saß bei Rossmann in meinem Büro, um mich herum lagen Zettel mit ein paar Notizen für Produktbeschreibungen, ich musste dringend noch ein Interview für einen Bericht im Kundenmagazin führen und auf dem Computerbildschirm blinkte mir ein Text für eine neue Kampagne entgegen, den mein Chef unbedingt noch vor 15 Uhr haben wollte. Ich war im Stress, und so hörte ich zunächst nur mit einem halben Ohr hin, als Christian anfing zu erzählen. Dass es eventuell um eine Rochade im Bundeskabinett gehen könne, dass – wenn tatsächlich Ursula von der Leyen oder Wolfgang Schäuble, die damals beide schnell als mögliche Favoriten auf das Amt des Bundespräsidenten gehandelt wurden, gewinnen sollten – ihm möglicherweise ein Bundesministerposten angeboten würde. Christian fragte, ob meine Eltern wohl Zeit hätten, auf Leander und Linus aufzupassen, sodass ich ihn nach Berlin begleiten könnte. Seine Konzentration und Aufregung waren spürbar und übertrugen sich auf mich. Es musste schon um etwas Besonderes gehen, wenn die Bundeskanzlerin anrief und Christian derart zeitnah, gleich noch am selben Tag, um ein Treffen bat.
Als ich knapp eine Stunde später im Auto Richtung Kita saß, um Linus abzuholen, kamen ganz automatisch die Überlegungen, ob ein Bundesministerposten gleichbedeutend mit einem Umzug nach Berlin sein und wie dies unser Familienleben verändern würde. Im Rückblick erscheint mir dieser Augenblick sogar noch seltsamer, als er ohnehin schon war.
Meine Eltern hatten Zeit, die Jungs zu sich zu nehmen, und so stiegen Christian und ich nach 19 Uhr in den Zug Richtung Hauptstadt. Wir sprachen während der Fahrt über alle Eventualitäten, über den Posten als Bundesminister, aber auch über die der möglichen Nominierung zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt. Noch so ein Moment, der mir im Rückblick völlig seltsam erscheint, weit weg.
Das Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und Christian fand gegen 21.15 Uhr im Bundeskanzleramt statt. Ich hatte mich für diese Zeit mit David Groenewold, einem Filmproduzenten und Freund meines Mannes, im Soho House im Bezirk Prenzlauer Berg verabredet. Fast paradox, wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte kennt und somit weiß, dass es die Freundschaft zu David Groenewold beziehungsweise Vorwürfe im Zusammenhang mit ihm waren, die Christian letztlich zum Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten bewogen. Aber das war in den Abendstunden dieses 1. Juni noch Zukunft.
Während David und ich rätselten, worüber Angela Merkel und Christian sich wohl unterhalten könnten, sprach die Bundeskanzlerin tatsächlich mit Christian über eine eventuelle Kandidatur zum Bundespräsidenten. Etwa gegen Mitternacht schickte mir mein Mann dann eine SMS, dass es »etwas Besonderes« zu erzählen gäbe. Er kam zu uns ins Restaurant und als er von dem Inhalt des Gespräches mit der Kanzlerin berichtete, war ich nur perplex und sprachlos. Ich konnte mir nicht recht vorstellen, was das heißt und was es für Konsequenzen mit sich bringen würde. Ich war aufgeregt, die unterschiedlichsten Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Was würde das für uns als Familie bedeuten? Was würde das für mich bedeuten? Was würde das
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