Jenseits des Protokolls
für uns als Paar bedeuten? Ich konnte mir keine konkreten Antworten geben, wusste aber das eine ganz sicher: Es wäre eine totale Veränderung. Christian war sehr aufgewühlt, auch David Groenewold fand die Neuigkeit schlichtweg sensationell.
Christian und ich fuhren noch in der Nacht mit einem Auto der Landesvertretung Niedersachsen zurück nach Hause. Es gab Momente in den folgenden Stunden, da haben er und ich viel miteinander diskutiert, dann aber auch wieder hat jeder für sich Raum gesucht, um alleine nachzudenken. Christian wollte das sehr gerne machen, er wollte für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren. Und auch ich wusste, dass es eine einmalige Gelegenheit für ihn war. Doch mich beschäftigte das Wissen, dass ich dafür meinen Job und somit einen Großteil meiner Unabhängigkeit aufgeben müsste. Ich müsste mich einordnen, ja sogar unterordnen, in das Leben meines Mannes. Meine Eltern, die zu dieser Zeit nur wenige Kilometer entfernt wohnten und eine wertvolle Stütze im Alltag waren – unter anderem wenn es darum ging, ganz spontan auf die Kindern aufzupassen –, würden dann über 300 Kilometer entfernt leben. Das Gleiche galt natürlich auch für Torsten, Leanders Vater. Und apropos Kinder: Auch sie müssten sich dem fügen, was wir als Paar beschließen.
Als eine Frau, die ihr Leben vorher längere Zeit als alleinerziehende Mutter sehr selbstbestimmt und eigenständig organisiert hatte, stand ich einem möglichen Amtsantritt von Christian und dem damit verbundenen Umzug nach Berlin sehr ambivalent gegenüber. Nach Linus’ Geburt war ich zwölf Monate in Elternzeit gegangen. Den Job bei der Continental in Hannover hatte ich unterdessen gekündigt, da ich in der Presseabteilung bei der Drogeriekette Rossmann eine Arbeitsstelle gefunden hatte, die nur wenige Kilometer von unserem Haus in Großburgwedel entfernt war. Im Juni 2009 hatte ich bei Rossmann angefangen, war also gerade erst ein Jahr dort. Ich hatte mich eingearbeitet, hatte einen netten Chef und zwei nette Kollegen, ich freute mich, mit ihnen gemeinsam zu arbeiten. Mir lag und liegt es fern, nur die »Frau von …« zu sein, nur Mutter zu sein, dazu ein eigenes Haus mit Garten zu haben, aber keinen Euro selbst zu verdienen. Ich werde dann unleidlich und das auch meinen Kindern gegenüber. Die Arbeit bei Rossmann stellte für mich einen elementaren Teil meines Lebens dar. Ich brauchte meinen Job, die Gespräche mit Erwachsenen, zu einem Team zu gehören, mich auch mit anderen Themen als Kinderkleidung, Kinderkrankheiten und Kinderspielzeug zu beschäftigen. Die Zeit im Büro war für mich ein wichtiger Ausgleich zum Mutterdasein und ich konnte, wenn ich Leander und Linus gegen 15 Uhr abholte, auch das Zusammensein mit meinen Söhnen mehr genießen und wertschätzen. Ich hatte Angst, meine Selbstständigkeit und Unabhängigkeit aufzugeben für etwas, was für mich noch so absolut unvorstellbar war.
Christian hatte Angela Merkel um Bedenkzeit gebeten. Er hatte ihr versprochen, sich bei ihr bis 12 Uhr zu melden und ihr seine Entscheidung mitzuteilen, ob sie ihn als Kandidaten benennen darf. Ich rief meine Eltern an, informierte sie über die Neuigkeit und bat sie, Leander und Linus noch für einen Tag bei sich zu behalten. Gegen 11 Uhr kamen dann noch der damalige Sprecher meines Mannes sowie der Chef der Staatskanzlei zu uns. Wir haben gemeinsam offen abgewogen. Am Ende des Redens aber schauten mein Mann und ich uns nur an und wussten beide: Sollten wir mit klarem Gewissen und gutem Glauben etwa sagen: »Lass mal bleiben, machen wir nicht!«? Nein. Es sprach einfach mehr dafür als dagegen.
Meine Eltern waren, wie fast alle Menschen, wie Freunde und Kollegen in meinem Umfeld, erst einmal überfordert, als wir davon erzählten: Es war eine zu skurrile Situation, um sie sich konkret ausmalen zu können. Meine Mutter wollte zu diesem Zeitpunkt auch lieber noch gar nicht damit anfangen. Denn das würde bedeuten, sich auch mit dem Gedanken zu beschäftigen, sich von den Enkelkindern trennen zu müssen. Auch meine beiden Arbeitskollegen und mein Chef fanden es zwar spannend, doch auch sie sagten, dass sie sich erst damit auseinandersetzen wollten, wenn Christian die Wahl tatsächlich gewann. Denn es würde bedeuten, dass ich das Team verlasse. Auch ich hätte gerne einfach die nächsten Tage bis zur Wahl, bis zur Entscheidung abgewartet, wäre einfach weiter zum Job gegangen, hätte einfach wie immer Linus und Leander nachmittags
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