Jenseits von Gut und Böse
Sämtliche Errungenschaften der menschlichen Kultur sind und bleiben insofern nur Bestandteile eines gigantischen, evolutionären Flickwerks. Doch wie könnte es auch anders sein? Wenn Makrodetermination der Motor der Evolution ist, so ist Mikrodetermination der notwendige Treibstoff, ohne den die Evolution keinen Schritt vorankäme! Das »reduktionistische Erbe« bleibt uns also erhalten! Lernen wir damit zu leben …
Jenseits von Reduktionismus und Supranaturalismus
In den vergangenen zehn Jahren habe ich in meinen Texten den Aspekt des Reduktionismus zweifellos viel stärker betont als den Aspekt der emergenten Komplexität. Angesichts der vielen Probleme, die durch anti-naturalistische Weltanschauungen (etwa dem Kreationismus) hervorgerufen werden, scheint mir diese Strategie auch heute noch sinnvoll zu sein. Dennoch sollten wir nicht den Fehler machen, die Probleme zu übersehen, die sich auch aus einem allzu reduktionistischen Denkansatz ergeben können! Denn dieser eliminiert letztlich all die emergenten Eigenschaften, die für unser Leben von Bedeutung sind! Aus diesem Grund betrachte ich den eliminatorischen Reduktionismus auch nicht als eine fruchtbare, wissenschaftliche Hypothese, sondern vielmehr als eine letztlich irrelevante, metaphysische Spekulation , die zwar im Einklang mit naturalistischen Grundannahmen steht, aber bei genauerer Betrachtung mehr theoretische Probleme erzeugt, als sie zu lösen vermag.
Wer ernsthaft an einer »Einheit des Wissens« interessiert ist, sollte sich vom eliminatorischen Reduktionismus ebenso verabschieden wie vom supranaturalistischen Dualismus, der kulturelle Phänomene außerhalb des vorgegebenen physikalischen und biologischen Rahmens herbeihalluziniert. Ich gebe zu, dass ein »dritter Weg« jenseits von Reduktionismus und Supranaturalismus/Dualismus schwer vorstellbar ist (deshalb habe ich, wie gesagt, im Buch auf eine explizite Darstellung dieser Thematik verzichtet), aber vielleicht kann die hier erfolgte Skizze des starken, naturalistischen Emergenz-Prinzips dennoch ein wenig dazu beitragen, die traditionellen Gräben zwischen den Naturwissenschaften und den Kulturwissenschaften zu schließen.
Falls Sie an weiteren Ausführungen zu diesem Thema wie auch zu den vielen anderen Themen, die in diesem Buch angesprochen wurden, interessiert sein sollten, empfehle ich Ihnen einen Besuch meiner Homepage www.schmidt-salomon.de . Dort gehe ich unter anderem auf Anfragen ein, die mich mittlerweile zu »Jenseits von Gut und Böse« erreicht haben – etwa auf die Frage, ob »absoluter Zufall« auf Quantenebene möglicherweise eine Basis für »freien Willen« sein könne (die Antwort lautet: nein!), oder auf die Frage, ob ich bezogen auf das Determinismus-Freiheitsproblem eine kompatibilistische oder eine inkompatibilistische Position vertrete (hier lautet die Antwort: sowohl als auch!).
Ich habe mir vorgenommen, die auf der Website veröffentlichte Sammlung von »Antworten auf häufig gestellte Fragen« (FAQ) kontinuierlich zu erweitern. Falls Ihnen also ein Problem auffallen sollte, das weder in diesem Buch noch im dazugehörigen FAQ hinreichend beantwortet wurde, können Sie mich darüber gerne über das Kontaktformular meiner Homepage in Kenntnis setzen.
Michael Schmidt-Salomon, März 2010
Literaturauswahl
Die hier aufgelisteten Werke könnten für ein tieferes Verständnis der in diesem Buch behandelten Thematik hilfreich sein. Weitere Literaturangaben finden sich im Anmerkungsapparat.
Abou-Taam, Marwan und Ruth Bigalke (Hg.): Die Reden des Osama bin Laden . Kreuzlingen 2006
Ahadi, Mina, und Sina Vogt: Ich habe abgeschworen. Warum ich für die Freiheit und gegen den Islam kämpfe . München 2008
Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft . Tübingen 1991
Antweiler, Christoph: Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen. Darmstadt 2007
Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem . Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München 2006
Bauer, Fritz: Die Humanität der Rechtsordnung: Ausgewählte Schriften . Frankfurt am Main 1998
Bieri, Peter: Das Handwerk der Freiheit. Über die Entdeckung des eigenen Willens . München 2001
Blackmore, Susan: Die Macht der Meme. Oder: Die Evolution von Kultur und Geist. Heidelberg 2000
Brockman, John (Hg.): Die Neuen Humanisten. Wissenschaftler, die unser Weltbild verändern . Berlin 2004
Buggle, Franz: Denn sie wissen nicht, was sie glauben. Oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann.
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